Der Facebook-Fluch
Ein Interview mit dem Autor Freddy Milton
Geführt von Ingo Milton

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Was hat dich dieses Buch schreiben lassen?

Ich habe ein Feuilleton, "Big Data", geschrieben, das ebenfalls in bearbeiteter Form als Kapitel mit in das Buch eingeflossen ist. Ganz am Anfang stand da die Sorge, was im Internet mit all den Informationen passiert, die dort über uns gespeichert sind. Aber allein dieser Aspekt verkauft ja noch keine Tickets wie ein Roman.

Was verkauft dann Tickets?

Zur gleichen Zeit begann ich auch, mich mehr für Facebook zu interessieren. Ich war schon ein paar Jahre lang dort angemeldet, war aber nicht weiter aktiv gewesen. Wenn jemand das Verlangen hatte, dort mein Freund werden zu wollen, habe ich es akzeptiert, und später bin ich einmal in der Woche reingegangen und habe nachgeschaut. Es hat sich dann zu einer täglichen Erscheinung entwickelt und gar nicht lange danach, habe ich jeden Tag eine Stunde darauf verwendet.

Wie ist es zu diesem Zeitaufwand gekommen?

Hauptsächlich wohl deshalb, weil ich Zeit übrig hatte und durch die Aufnahme von täglichen sozialen Kontakten dort. Man kann sagen, dass es mit Blick auf die Kommunikation, ein Vakuum gefüllt hat. Eine Art Gesellschaftsersatz. Man kann sich ja nicht immer nur die ganze Zeit über mit seinen Kinder treffen und Bücher schreiben.

Wiederholt sich auf Facebook nicht vieles?

Doch, aber das tun viele Kontakte in der physischen Welt auch. Es gab auch noch etwas anderes, was mich veranlasst hat, ein Buch zu schreiben.

Was denn?

Eine Tondatei aus der Serie "Third Ear" handelt von einem Mädchen, das ganz fasziniert war von einem interessanten Burschen, mit dem es schließlich eine Beziehung anfing. Der Bursche war jedoch nicht der, der er vorgab zu sein. Aber so etwas haben wir auch früher schon in der analogen Welt erlebt. Das Neue daran war, dass er fleißig fiktive Facebook-Profile dazu eingesetzt hat, seine Lügengeschichte zu untermauern. Und das nicht zum ersten Mal. Es stellte sich heraus, dass eine lange Karriere als Betrüger hinter ihm lag. Gerade habe ich auch den Dokumentarfilm "Catfish" gesehen, der von etwas Ähnlichem handelt. Der vermittelte jedoch ein sympathischeres Bild falscher sozialer Beziehungen.

Also musstest du darüber ebenfalls eine Geschichte in Szene setzen?

Nicht auf die gleiche Art und Weise, aber kürzlich habe ich einen sehr guten amerikanischen Film gesehen, "Diconnect", der mittels drei paralleler Handlungen die Probleme beschreibt, die man, sowohl junge Leute als auch ältere, im Netz bekommen kann, wenn man obskure Chatrooms besucht. Man kann sich eine fiktive Identität erschaffen und ekelhafte Klassenkameraden können einen einsamen Jungen glauben machen, mit einem einfühlsamen Mädchen zu chatten, um ihn dazu zu bringen, sich auf diese Art und Weise ihnen selbst auszuliefern. Aber man kann sich im Internet nicht nur fiktive Identitäten erschaffen, man kann auch die Identitäten anderer übernehmen. Das Motiv des Identitätsdiebstahls ist in "Disconnect" jedoch nicht weiter entwickelt worden, doch haben ein paar Leute ihr ganzes Geld an Betrüger verloren. Und auch Cybersex und Cybermobbing sind wichtige Themen in diesem Film. Außerdem verhandelt er das Problem journalistischen Quellenschutzes sowie das des Risikos, das in Selbstjustiz liegt, die sonst in amerikanischen Filmen selten angezweifelt wird, eher im Gegenteil. Alles in allem ein ungewöhnlich empfehlenswerter Film, den ich mir zu meiner Freude mit meiner Teenagertochter ansehen konnte, die eher zur Risikogruppe gehört als ich. Glücklicherweise ist sie pfiffig und vorsichtig bei allem, was sie unternimmt und geht mit ihrem sozialen Netzwerk verantwortungsbewusst um. Als Vater macht es einen ein wenig stolz, wenn die eigenen Kinder sozial gefestigt sind und sich anständig aufführen.

In der letzten Zeit ist in der Presse eine Menge über digitale Sicherheit und Betrug zu lesen und zu hören gewesen.

Ja, und alle haben mit Verärgerung verfolgt, wie es zu der undichten Stelle bezüglich Kreditkarteninformationen von Promis gekommen ist, wofür "Se og Hør" verantwortlich war. Tatsächlich ging es dabei hauptsächlich um das kriminelle Verhalten eines Angestellten bei Nets. Es müssen Sicherheitssysteme entwickelt werden, damit es gar nicht erst zu diesen kriminellen Handlungen kommen kann.

Die Menschen sind bei der Benutzung des Internets immer noch recht naiv.

Das sind sie. Neulich hörte ich einen Vortrag in "Copydan" über die Überwachungsgesellschaft im Internet und die großen Mengen verfügbarer Daten, die sich dort befinden und über die keiner Kontrolle zu haben scheint. Alles in allem bekam ich dadurch den Eindruck, dass das der Anstoß zu einem Buch mit aktuellem Inhalt sein könnte.

Was ist mit den undichten Stellen, die durch Whistleblower entstehen?

Das war auch ein Umstand, der zu meinem Entschluss beigetragen hat. Aber die Verwicklungen der Geschichte ließen sich nicht eher zusammenfügen, bevor es mir nicht gelungen war, das Thema mit einer Rückschau zu kombinieren.

Und die war?

Ich hatte auch den Versuch der Jungen von Godhavn verfolgt, für die Behandlung in dem Jungenheim, die sogar schlechter war, als es zu dem Zeitpunkt zulässig gewesen ist, als sie dort untergebracht waren, Anerkennung zu finden. Es war ihnen nicht möglich, eine Entschuldigung von den Behörden zu bekommen. Solche Sachen lassen sich nur schwer erreichen, denn möglicherweise könnte der nächste Zug dann eine Schadensersatzforderung sein. Und das wollen die Behörden möglichst vermeiden.

Also wurde es trotzdem eine Geschichte über die Unterbringungsbedingungen von Kindern?

Auf eine Art, ja, aber doch so, dass nicht Kinder die Zielgruppe der Geschichte sind. Sowohl Jugendliche als auch Erwachsene sollten aus der Lektüre des Buches etwas gewinnen können, das ich als Thriller geplant habe, damit es bei den Wirkmitteln und bei der Spannungskurve große Ausschläge geben kann. Außerdem ist es für das Publikum nicht vorhersehbar, wie das Buch enden wird, aber diesen Umstand mache ich mir ja oft zunutze.

Wieso hältst du dich nicht an ein einzelnes Thema?

Ich möchte auf diese Weise gerne mehrere Aspekte eines Konfliktfeldes abdecken. Es ist schwer, darauf zu antworten, ohne zu viel der Handlung des Buches zu verraten. Doch die Umstände für das Heranwachsen von Kindern ändern sich mit den Zeiten, und doch wiederholt sich alles. Neue Zeiten, neue Sichtweisen, aber die Substanz ist dieselbe. Das ist auch ein Teil der Geschichte.

Worauf zielt das Thema ab?

Auf der einen Seite sind da die Bedenken bezüglich der Risikomomente, die mit der digitalen Kommunikation verbunden sind. Eine meiner Hauptpersonen ist ein Mädchen, das studiert. Über das Internet wird ihr etwas zugeschickt, das wie eine Drohung aussieht. Sie spürt, dass sie dem nachgehen muss, und ihre Hälfte der Geschichte läuft darauf hinaus, aufzuklären, was hinter dieser Zuschrift steckt.

Und die andere Seite?

Die andere Hälfte des Buches spielt sich zum großen Teil vor etlichen Jahren ab und berührt das Aufwachsen von Kindern in einem Kinderheim. Ich habe schon immer gerne über dieses Thema schreiben wollen, aber erst jetzt eine Möglichkeit gefunden, das Thema aktueller gestalten zu können. Erst als ich diesen Punkt gefunden hatte, konnte ich an die Planung des Buches gehen.

Wird das nicht eine etwas fragmentarische Darbietung?

Ich kann es mit "Randis Rastlos" vergleichen. Teilweise wirkte auch diese Geschichte etwas zusammengestückelt, doch je weiter man mit der Lektüre kam und sich die einzelnen Steinchen zusammenfügten, stieg auch die Spannungskurve. Etwas Entsprechendes passiert hier. Das Leben besteht aus abgerissenen Fetzen, deren Zusammenhänge man erst mit der Zeit aus der Distanz heraus erahnt. Bei der Aufdeckung dieser Zusammenhänge gehen die Leser mit.

Gibt es viele Personen?

Es gibt in diesem Buch mehr Mitwirkende als in manchen anderen Büchern, die ich geschrieben habe. Es erscheint deshalb perspektivisch nicht so eng, sondern ist breiter und epischer angelegt. Man wird an viele Orte geführt und begegnet unterschiedlichen Persönlichkeiten verschiedener Altersgruppen und sozialer Schichten. Ich schätze es, wenn es gelingt, dieses Moment mit in die Geschichte zu bekommen.

Wechselst du im Verlauf der Geschichte den dramatischen Schwerpunkt?

Es kommt zu einer Wendung, damit andere Personen in den Fokus rücken, aber später kehren sie zurück und steuern mit einer nuancierteren Sichtweise auf einige Umstände zu der Handlung bei. Tatsächlich schreibe ich im rückschauenden Teil der Erzählung über das Schicksal zweier Generationen.

Ist es ein Thriller?

Das kann man sagen, ja. Die Konstruktion trägt definitiv etwas Spannungsgeladenes, aber zugleich ist es auch ein Schicksalsdrama. Ich tue mich schwer damit, den Roman in ein spezielles Genre einzuordnen, denn das Muster der Verwicklungen ist verwobener als sonst, aber es baut etwas aus, mit dem ich früher bereits gearbeitet habe und zu dem ich sicherlich noch einmal zurückkehren werde.

Gibt es Verweise auf andere deiner Bücher?

Da ist ein Journalist, Asger, der auch in einem anderen Buch auftritt, das ich vorbereitet habe. In diesem Buch ist er die Hauptperson, doch in dem vorliegenden Titel ist er nur eine Nebenfigur. Ich kann meine Bücher nicht immer in der Reihenfolge herausbringen, in der sie geschrieben sind.

Was lässt dich die Reihenfolge festlegen?

Es kommt darauf an, zu welcher aktuellen Sache das Buch beitragen kann. Die letzten drei Titel sind recht unterschiedlich gewesen, aber sehr aktuell, und dieser Linie möchte ich ein wenig folgen. Der Einschlag von Umständen, die einen größeren Erwachsenenbezug haben, ist jetzt auch größer, wo man mich nicht mehr einfach als Jugendbuchautor abfertigen kann. Es gibt Inhalte, deren Intensität man in Beschreibungen, die sich an eine jüngere Altersgruppe wenden, vermeiden möchte.

Sex und Gewalt?

Unbedingt. Vor Jahren hätte es nicht zum guten Ton gehört, solche Sachen ausführlich zu schildern, doch jetzt ist das kein Problem. Ja, sogar mehr als nur das, es ist sogar zu etwas geworden, das man anstrebt, um erwachsene Leser anzuziehen. Ich benutze diese Dinge jedoch nicht um des Effektes willen.

Nicht?

Nein, denn dort, wo es in den Büchern gewisser Genres normalerweise gemacht wird, wird es schon in den Ankündigungen mit angeführt, damit das Publikum geradezu etwas Grenzüberschreitendes erwartet und enttäuscht sein würde, wenn es das dann nicht bekäme. Ich hingegen beschreibe Verhältnisse, in denen das Gewaltsame überraschend wirkt, wenn es auftaucht, aber vielleicht ist es aus diesem Grund auch schockierender, eben weil das Publikum es nicht und nicht in dieser Stärke erwartet.

Ist das nicht Ansichtssache?

Nein, denn ich beschreibe die Details nicht ausführlich und ziehe die Beschreibung in die Länge. Es tritt plötzlich in Erscheinung, ohne die Gefühle übertrieben zu reizen. An dieser Stelle unterscheide ich mich von den Thrillerautoren, die sich seitenlang über abscheuliche Zustände auslassen können.

Hat das Buch auch autobiografische Momente?

Nicht direkt, aber meinem Sohn ist tatsächlich eine wichtige Datei seiner Abschlussarbeit verloren gegangen, als eine externe Festplatte kaputt ging. Auch er hat in einem Studentenwohnheim gewohnt, und einige Details in dem Buch könnten daran erinnern. Aber das sind nur allgemeine Dinge, zu denen ein Autor ganz selbstverständlich greift, wenn er Beispiele braucht. Das Autobiografische, was von mir handelt, sind in der Hauptsache meine Erlebnisse im Internet.

Wie auch früher schon, gefällt es dir, alte Örtlichkeiten aufzusuchen.

Das tut es. Meine Erinnerungen an das Milieu und die Lebensweise meiner Großeltern sind immer noch sehr präsent. Unzweifelhaft eine Form von Nostalgie, aber jeder Mensch hat doch seine Präferenzen. Dass ich an der Vergangenheit hänge, kann man auch feststellen, wenn man mich besucht. Eine meine Töchter ist der Meinung, dass ich mich von vielen Sachen trennen sollte, die aber doch Erinnerungen meines Lebens tragen.

Ein Teil deiner Persönlichkeit?

Unbedingt. Ich fühle mich in Hightech-Umgebungen mit Mobiliar in Schwarz, Chrom und Glas nicht wohl. Wenn dann im Regal auch noch gute Bücher fehlen, verstärkt das noch den Eindruck von Distanz. Eine Umgebung, in der man sehen kann, dass die Menschen leben oder gelebt haben, werde ich immer zu schätzen wissen. Das darf man von meiner Generation erwarten, aber wenn Leute meines Alters sich in ihrer häuslichen Einrichtung nur mit modernen Dingen umgeben, dann finde ich, fehlt etwas Wichtiges.

Welche Nachforschungen hast du für den Abschnitt des Jungenheims angestellt?

Ich hätte mir gerne die Dokumentation von Danmarks Radio angesehen, doch auf YouTube sind nur zehn Minuten davon eingestellt gewesen. Aber im Buch "Godhavn-rapporten" wird ausführlich von der Zeit in den Kinderheimen berichtet, nicht nur über Godhavn. Ich habe allerdings keine konkreten Namen oder Orte genannt, weil meine Ausgabe Fiktion ist, und ich mir eventuell erlaubt habe, einige Dinge zuzuspitzen.

Die Liste deiner benutzten Quellen ist auch ziemlich umfangreich.

Ja, und das hat auch mich überrascht. Aber als ich meine digitalen Archivalien durchgegangen bin, habe ich gesehen, was ich alles über das Thema besitze. Und es war eigentlich eine ganze Menge, was ich mir im Laufe der Jahre angesehen und aus dem gleichen Grund aufbewahrt hatte. Diese Sachen finden sich natürlich auch in meiner Erinnerung und haben das Motiv, dieses Buch zu schreiben, gefestigt.

Der Abschnitt mit Theis' Onkel ist vielleicht geradezu autobiografisch?

Das ist er durchaus. Ich habe auch viele Kaninchenkartons mit DVDs mit Spiel- und Dokumentarfilmen. Und durch meine gute Registratur kann ich innerhalb von ein paar Minuten alles, was gewünscht wird, heraussuchen, wenn ich einen Suchbegriff habe.

Es muss viel Zeit erfordern, solch eine Sammlung auf dem neuesten Stand zu halten?

Täglich gibt es mindestens zwei neue DVDs. Aber ich bewahre auch viele Dokumentationen von Danmarks Radio 2 und Danmarks Radio Kultur auf, sodass alleine die DVDs mit Tatsachenberichten sicherlich ein Viertel der ganzen Sammlung ausmachen.

Liest du Bücher?

Als ich jung war, habe ich Unmengen Bücher gelesen. Ich besitze über tausend Romane und ebenso viele genrebezogene Bücher mit Humor, Krimis, Science-Fiction und Anthologien. Außerdem eine Menge Fachbücher, die ich selten brauche, jetzt, wo alles im Netz zu finden ist. Es sind eigentlich die DVDs, die den wenigsten Platz wegnehmen.

Aber liest du heute Bücher?

Der Tag hat zu wenige Stunden. Heute würde ich mich wahrscheinlich für etwas von DVD anstatt für ein Buch entscheiden. Die wenigen Bücher, die ich in der letzten Zeit gelesen habe, fand ich nicht weiter gut. Etwas altmodisch in der Form. Aber durch ein Buch bekommt man natürlich den kreativen Ausdruck eines einzelnen Menschen anstelle eines ganzen Kollektivs, wie es bei Filmen der Fall ist. Die klassischen Autoren habe ich jedoch alle gelesen und die Autoren, die in den letzten dreißig Jahren herausgekommen sind, sagen mir nicht so viel.

Gibt es noch einen anderen Grund dafür, weshalb du so viel Zeit auf die Bildmedien verwendest?

Ich bin immer bildorientiert gewesen. Für mich ist es, als ob das Interesse am Film, das rein vom Dramaturgischen her die Aktualität in sich trägt, die Literatur abgelöst hat. In meiner Jugend war der Zugang zu Filmen spärlich und die digitalen Medien existierten nicht. Mein Konsum auf diesen Plattformen hat das Geschriebene jetzt in den Hintergrund gedrängt, genau so, wie es überall mit dem Konsum von Zeitungen, Magazinen und meiner eigenen, alten Ausdruckform, den Comics, passiert ist.

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