Festung Europa
Interview mit Freddy Milton
von Ingo Milton.

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Dann ist es also doch eine Geschichte über den Untergang geworden …

Ich weiß, was du meinst. In „Mathias und der Untergang“ gab es keinen richtigen Untergang, nur die Vorstellung davon. Aber das Motiv, nach einem Atomkrieg in einem Überlebenskeller zu sitzen, hatte ich verwendet. Mich hat das Thema jedoch nicht losgelassen, also war ich gezwungen, meine eigene echte Version der Thematik zu schreiben.

Diese Sache mit Leben und Tod ist ja auch ganz deine.

Genau, und ich habe lange über das Motiv nachgedacht, aber ich musste darauf warten, bis ich einen persönlichen Stil gefunden hatte, um es ins Lot setzen zu können. Die eigentliche Idee einer weltumspannenden Katastrophe ist ja nicht originär, daran hat man sich in Filmen und Büchern früher schon versucht. Die Sache mit der Apokalypse bietet sich ja auch geradezu an.

Welche „guten“ Erlebnisse hast du selbst mit dem Untergang gehabt?

Eigentlich sind es hauptsächlich diejenigen, an die ich mich aus meiner Kindheit erinnere. Das ist natürlich H.G. Wells’ „Der Krieg der Welten“, aber auch „Die Triffids“ des später geborenen englischen Autors John Wyndham. Ich habe sie in den Sechzigerjahren als Serie von Radiohörspielen mit Lene Tiemroth als Josella Playton gehört. Das Peitschenknallen der Triffids hat mich, der ich damals mit Horroreffekten nicht so vertraut war, wirklich erschreckt. Die Triffids nur zu hören, war sicher auch das Beste, denn sie sich vorzustellen, hat mehr Effekt, als sie zu sehen. Später habe ich das Buch gelesen, das ich zu langatmig fand. Die Verfilmungen sind nicht sehr gelungen. Aber es ist ein anderer Film gedreht worden, der davon handelt, wie alle Menschen erblinden. Und auch Viggo Mortensen schleppt sich in dem düsteren „On the Road – Unterwegs“ durch eine Katastrophenlandschaft.
Doch besonders erinnere ich mich an „Die ‚lieben‘ Nachbarn“, einer Episode aus der Serie „Twilight Zone“ von Rod Sterling von 1961, wo eine Familie im Keller einen Überlebensraum baut und sich dann darüber klar werden muss, ob sie es zulassen will, dass auch die Nachbarn dort wohnen dürfen. Es wird ein Hickhack über das Recht, auf Kosten anderer überleben zu können. Die Folge ist nur 25 Minuten lang, aber sie ist viel besser als „Independence Day“ und all die anderen Ausstattungsfilme, die von weltweiten Katastrophen handeln.

In deinem Buch gibt es eine Hommage an die Triffids.

Wenn die Sprache auf einen Zaun kommt, dann ist das für mich ganz logisch. Diese Geschichte hat bei mir einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen. Somit war es unvermeidlich, mich irgendwann einmal gezwungen zu sehen, meine eigene Version der Katastrophe zu schreiben, die als Hintergrund natürlich ein anderes und plausibleres Motiv hat.

Könnte der Untergang nicht auch etwas anderem geschuldet sein, wie zum Beispiel den Klimaveränderungen, über die so viel gesprochen wird?

Schon, aber das würde dann ein länger andauernder Prozess sein, bei dem die Verantwortung der Menschen und die Versuche den Konsequenzen entgegenzutreten, diffuser sind. Ich wollte ein Modell verwenden, bei dem die unverbesserliche Selbstsucht der Menschen im Fokus steht und bei dem ich eine relativ schnelle Untergangsstimmung schaffen konnte, deren Einsatz verlockender war, rein dramaturgisch gesehen.

Es war also kein Zufall, dass es eine Frage nach den Ressourcen der Erde geworden ist?

Nein, ich habe Bücher darüber gelesen und Dokumentarfilme über eine nachhaltige Strategie zur gesellschaftlichen Entwicklung gesehen. Möglicherweise liegt es nicht mehr viele Jahrzehnte weit in der Zukunft, dass wir den Mangel an gewissen Rohstoffen zu spüren bekommen werden, und gleichzeitig wächst die Bevölkerungszahl. „Was ist, wenn …“, ist eine Frage, die Science Fiction Autoren sich oft stellen, und in diesem Fall ist sie auch ganz naheliegend. Was ist, wenn alle die Milliarden von Menschen entdecken, dass nicht genug Ressourcen dafür vorhanden sind, damit sie selbst es so angenehm haben können wie die wohlhabenden Abendländer? Stell dir mal vor, wenn jede chinesische Familie ihr eigenes schönes Reihenhaus mit Sprenger auf dem Rasen und zwei Autos in der Garage haben will? Chinesen sehen vielleicht nicht so viele amerikanische Filme und Serien, aber die Armen an anderen Orten der Welt tun das. Und vielleicht hoffen sie darauf, dass sie es ebenso luxuriös, oder etwas Vergleichbares, haben können, wenn sie nur die Chance dazu bekommen, sich dazu hochzuarbeiten. Falls diese Hoffnung erlischt, kann das katastrophale Folgen haben. In den USA hat man lange „den amerikanischen Traum“ davon geträumt, dass jeder auch selbst die Chance hat, auf den Grünen Zweig zu kommen. Aber für die meisten nähert diese Utopie sich langsam dem Ende.

Gerade jetzt sind es doch weltweit Millionen, die jedes Jahr die Armutsgrenze überwinden und im unteren Mittelstand ankommen.

Genau, die Entwicklung nimmt also diesen Weg. Die Chinesen kaufen überall in der Welt Rohstoffe, um die Räder in Gang zu halten. Was ist, wenn das nicht so weiter geht und die chinesische Lokomotive gezwungen wird, aus Mangel an Rohstoffen abbremsen zu müssen?

Ein paar werden unzufrieden?

Das steht definitiv zu befürchten. Und wen wird man hassen? Die Abendländer, die sich rechtzeitig einen hohen Lebensstandard aufgebaut haben. Die Mächtigen vor Ort, die innere Unruhen zu spüren bekommen, werden sofort außerhalb des Landes eine Ursache finden, gegen die der Hass gerichtet werden kann und die sich damit im Innern die Macht sichern. Das haben wir bei der Mohammedkrise gesehen, die mancherorts mit dem Ziel benutzt wurde, den Zusammenhalt im Innern zu stärken. Deshalb bin ich der Meinung, dass meine Behauptung nicht ganz aus der Luft gegriffen ist. Ich glaube, wir müssen froh sein, dass es in Afrika keine Atomwaffen gibt. Am Ende werden wir dankbar dafür sein, dass die afrikanischen Diktatoren sich keine Atomwaffen beschafft, sondern sich damit begnügt haben, ihre eigenen Taschen mit korruptem Geld vollzustopfen.

Und wir können die Güter nicht umverteilen, sodass wir weniger haben und die anderen etwas mehr?

Auch das kommentiere ich in dem Buch. Eventuelle gute Absichten vonseiten der reichen Nationen zu dieser Idee, werden von Forderungen nach der Respektierung individueller Menschenrechte begleitet werden, besonders die Gleichberechtigung der Frauen und die Behandlung der Kinder nebst demokratieähnlicher Zustände, ohne Korruption. Und dem werden die diversen Regierungsformen der armen Länder nicht entgegenkommen können.

Die größten wirtschaftlichen Akteure sind China und die USA, und diese sind doch inzwischen zu kommunizierenden Röhren geworden. China wünscht nicht, dass die USA Konkurs gehen, weil das den wirtschaftlichen Zweig absägen würde, auf dem es selbst sitzt.

Ich glaube, darüber sollten wir auch glücklich sein. Dass die USA China so viel Geld schulden und Zinsen zahlen müssen, macht, dass China nicht daran interessiert ist, dass die USA bankrottgehen. Und die Chinesen müssen ja auch ihre Produkte loswerden, deshalb sind sie gezwungen, den USA weiterhin Geld zu leihen, damit diese die Mittel dafür haben, Chinas Ramschware zu kaufen. Die Amerikaner haben viel zu lange ihren überzogenen Verbrauch durch Kredite finanziert. Als es anfing, schlechter zu werden, haben sie einfach nicht einsehen können, dass sie hätten weniger verbrauchen sollen, anstatt sich zu verschulden. Aber das passt eben nicht zum amerikanischen Selbstverständnis. Dort ist man der Meinung, das Recht zu haben, herumaasen und verschwenden zu können, und niemand soll ihnen etwas anderes erzählen. Am Ende werden sie es auf die harte Tour lernen müssen. Jetzt ist Detroit Konkurs gegangen, und es wird sicherlich nicht die letzte amerikanische Großstadt sein, die dahin kommt. Um den wirklichen wirtschaftlichen Zustand zu verschleiern, hat man eine Menge Spekulationsmodelle erfunden, um Geld aus der hohlen Hand zu zaubern. Diese Art Pyramidenmodelle sind dazu verurteilt, früher oder später zusammenzubrechen. Und das ist hier auch passiert.

Der digitale Börsenhandel hat den Blaseneffekt unterstützt.

Das ist der spekulativen Weisheit neuester Schuss gewesen. Ich habe eine Dokumentation über Hochgeschwindigkeitshandel an der Börse gesehen. Heutzutage lässt man Computer in Millisekunden miteinander handeln. Wenn man sich einige Sekunden später aus dem Geschäft herausziehen und mit ein paar Hundert Dollar Profit verkaufen kann, ist das okay, denn der Handel verläuft schnell und kontinuierlich. Es ist also die pure Geldmaschine, allein durch die Geschwindigkeit. Das ist in jeglicher Weise unmoralisch und hat nichts mit tatsächlicher Rentabilität oder Kreditwürdigkeit auf dem Produktionssektor zu tun. Es ist heiße Luft in neuer Form, die von der ständigen Schwankung der Wertpapierkurse profitiert. In jeder Weise systemschädigend, und es sind die Banken, die die maschinelle Spekulation betreiben. Ein Banker sagte: „Wir müssen die ganze Zeit über versuchen, Spekulationsprogramme zu entwickeln, die den Computern der anderen Banken einen Schritt voraus sind.“

Du hast dir ganz klar strategische und verteilungspolitische Gedanken gemacht. Belasten diese nicht den Unterhaltungswert deiner Bedrohungsgeschichte?

Man muss wirklich aufpassen, dass man in den moralisierenden und philosophischen Überlegungen nicht übers Ziel hinausschießt. Deshalb nehmen diese Passagen, an den Stellen, wo sie auftauchen, jedes Mal nur ein paar Seiten ein. Andererseits sind sie als Argumentation für die Plausibilität meiner Konstruktion notwendig. Es ist das Fundament, auf dem ich meine Vision aufbaue und ich werde gezwungen, die verschiedenen Konsequenzen darzulegen. Es geht um eine Zukunftsbeschreibung, von der das Publikum nicht erwarten kann, alles aus dem eigenen Leben zu kennen. In den üblichen Geschichten kann man sich auf die Kenntnis des Publikums eines gemeinsamen Hintergrundes verlassen. Doch jetzt nehme ich meine Leser mit hinaus in die Untiefe, und da muss ich dafür sorgen, dass meine Bedingungen, zu denen das geschieht, in Ordnung sind. Sicherlich ist es auf vielerlei Weise ein Actionthriller, aber er sollte schon auf einer glaubwürdigen Grundlage ruhen.

Bei dir gibt es auch einen unangenehmen elektrischen Zaun rund um die Festung Europa.

Mein schreibender Verwandter, Jens, der über 90 Jahre alt ist, hat mich zu diesem Bild inspiriert. Er hat sich problemlos vorstellen können, dass jemand am Mittelmeer steht und auf die Bootsflüchtlinge schießt, die aus Afrika kommen und gern an Land wollen. Eine italienische Insel nahe Afrika, Lampedusa, wird regelmäßig von diesen Flüchtlingen überrannt. Ich habe auch ein Dokumentarspiel über das Thema einer extremen Dürre in Afrika gesehen und dass dann die Menschen in großer Anzahl nach Norden gewandert sind, um nach Europa zu gelangen. Das ist auch eine der Visionen, die großen Eindruck auf mich gemacht haben.

Jetzt hast du mich von der Notwendigkeit, diese bedrohliche Horrorvision zu beschreiben, überzeugt. Aber du bist wohl auch auf persönlicher Ebene über die Unbesonnenheit der Menschen verärgert?

Ich bin, wie gesagt, besorgt und gehe auf Abstand. Ich selbst bin jemand, der der Mäßigung und Sparsamkeit huldigt. Ich habe nie mehr verbraucht, als ich es angemessen fand. Und Mode und Design zum Anlass zu nehmen, noch gut Brauchbares an Kleidung und Gerätschaften durch Neues auszutauschen, liegt mir nicht. Ich habe im Gegenteil Freude daran, Verschlissenes auszubessern und zu reparieren, damit es länger benutzt werden kann. Eine Einstellung, die ich von meinen Eltern geerbt habe.

„Man soll nicht kaufen, was man braucht, sondern was man nicht entbehren kann.“

Genau. Dieses Credo war bis weit in die Fünfziger aktuell, aber dann kam der Wohlfahrtsstaat, und wir lernten zu verbrauchen und überzuverbrauchen, ohne uns Gedanken zu machen. Erst jetzt tauchen die Bedenken auf, aber wir verschließen die Augen vor ihnen, weil sie den Erfordernissen des Systems nach ständigem Wachstum, was erhöhte Produktion und gesteigerten Absatz verlangt, zuwiderarbeiteten. Jeder kann von selbst auf die Idee kommen, dass das so nicht weitergehen kann, weil unsere Erde an Rohstoffen nicht unerschöpflich ist. Wir haben in Hundert Jahren bereits den Hauptanteil der Ressourcen aufgebraucht, deren Aufbau die Erde Millionen von Jahren gekostet hat. Also müssen wir irgendwann ein neues ökonomisches Modell in Anwendung bringen. Niemand denkt daran, etwas für unsere Nachkommen übrig zu lassen.

Im Buch verwendest du fast gar nicht das Wort „Kapitalismus“?

Nein, denn ich möchte die Aufmerksamkeit nicht auf eine alte Debatte lenken, die nicht mehr aktuell ist, weil der Kommunismus zusammengebrochen ist. Aber in Wirklichkeit ist mit dem Kapitalismus um 1990 herum das Gleiche passiert. Die Art und Weise, wie wir das Bruttosozialprodukt berechnen, ist nicht korrekt. In den westlichen Industrieländern hat es bei diesem Faktor seit 1990 tatsächlich kein reales Wachstum mehr gegeben. Nur weil der bekannte Blaseneffekt der Weltfinanzwirtschaft diese Erkenntnis verzögert hat, ist das den Menschen erst 18 Jahre später aufgegangen, als die Blase platzte. Jetzt haben die Politiker damit zu tun, die Bevölkerungen damit zu beruhigen, dass es nur darum geht, die Krise zu überwinden. Doch das entlarvte Ungleichgewicht wird wegen des unhaltbaren Zustandes der Wachstumsgrundlage häufiger als früher neue Krisen hervorrufen. Das werden die Politiker wahrscheinlich für sich selbst behalten und die Daumen dafür drücken, dass das Geheimnis noch ein wenig bewahrt werden kann.

Also wäre der Kommunismus keine Alternative?

In keiner Weise. Er ist mit unentschuldbaren Fehlern und Mängeln behaftet, was noch zu der Verachtung des einzelnen Individuums hinzukommt. Es muss etwas Neues geschaffen werden, das auf Nachhaltigkeit und harmonischer Entwicklung aufbaut, bei dem der Wert des Wachstums als Motor der Entwicklung reduziert werden muss. In China hat man jetzt ein von oben gesteuerten Kapitalismus. Und wir werden uns wahrscheinlich darüber freuen müssen, dass es bei diesem Modell vielleicht ein wenig mehr Kontrolle gibt, als bei der sich frei entfaltenden westlichen Form des Kapitalismus’, die zu extremer Gier, Spekulation und übertriebenem Verbrauch einlädt. Dafür gibt es in dem von oben gesteuerten chinesischen Modell ein größeres Risiko für Korruption und Vetternwirtschaft, weil die fehlende Offenheit die Möglichkeiten dazu bietet. Falls aber irgendwann in China Menschenrechte und Individualismus wie im Westen praktiziert werden, wird sich der Sturz in die Katastrophe, weiter hinausschieben.

Auch wenn du deine globale Katastrophe nicht auf dem Atomkriegskomplex aufbaust, gibt es bei dir doch einige unangenehme Details über die Geburt deformierter Kinder?

Dazu hat mich eine Dokumentation inspiriert, die ich über das Gebiet sah, in dem die UdSSR Atomversuche vorgenommen hat. Dort hatte man die Zivilbevölkerung nicht evakuiert. Man wollte bewusst herausfinden, wie diese Atombomben auf den Menschen einwirken. Und manche von ihnen sind krank geworden und haben deformierte Kinder geboren. Wie bekannt ist, haben totalitäre Staaten keinen Respekt vor dem einzelnen Individuum. Es sind nur die Bedürfnisse des gesamten Staates, die etwas bedeuten, bestimmt von einer kooptierenden Spitzenführung des Parteiapparates. Einzelpersonen oder Gruppen von Menschen können bedenkenlos dem Allgemeinwohl geopfert werden, über das die Partei bestimmt. Es gibt abscheuliche Beispiele dafür.

Das klingt wie die Inspiration zu einem anderen Buch?

Ja, das ist „Der Meister“, das in den Fünfzigern spielt, als viele junge Leute im Westen sich aus unerforschlichen Gründen zum Kommunismus bekannt haben. Vermutlich, weil er als die einzige Alternative zum amerikanischen Kapitalismus angesehen wurde, wegen dessen unangenehmem Krieg in Vietnam man zu verstehen geben musste, dass man dazu auf Abstand ging. Wenn die Kommunisten mit Stalins Schauprozessen und dem Gulag konfrontiert wurden, bekam man die joviale Antwort, dass das sicherlich „Kinderkrankheiten“ des Systems wären. Man übte eine unverzeihliche Nachsicht dem System gegenüber, unterstützt von Unwissenheit, aufgrund der Abgeschlossenheit der Länder, die dafür verantwortlich war, dass nicht sehr viele echte Informationen von dort nach außen drangen. Und Mao Tse tung ist ja der Grund für den Tod von noch mehr Millionen Menschen gewesen, als Stalin es zu verantworten hatte. Und ihm stehen die Chinesen immer noch mit großem Wohlwollen gegenüber. Die Gedankengänge der Kommunisten sind in Wahrheit extrem unkritisch. Aber es steckt wohl im System, dass man keine Fragen stellt. Ein Glück, dass wir diesen Auswüchsen im Dschungel der Ideologien entkommen sind, bevor es weltweit zu großen Katastrophen gekommen ist. Das Buch kommt im nächsten Jahr heraus.

Nun, das war ein Abstecher zu einem anderen Buch. Was ist der ursprüngliche Baustein deiner Vision der Katastrophe?

Sie mit der Nachwelt zu kombinieren. Meinen Ausgangspunkt habe ich in dem alten Horrorszenario aus dem „Kalten Krieg“ über einen Atomkrieg, der „uns alle in die Steinzeit zurückbomben wird“, genommen. Dieses Bild habe ich hier also wiederverwendet.

Zuerst weiß man nicht, dass Romeks und Yullas Welt nach der Zeit von Sofia und Markus liegt?

Nein, und es vergeht einige Zeit, ehe wir und sie es herausfinden. Doch obwohl es Probleme gibt, leben die Stämme trotz allem in einer Art Gleichgewicht, wie man es sich in einer Steinzeit vorstellen kann, bevor Überbevölkerung und die verschiedenen Stadien der zivilisatorischen Entwicklung einsetzen.

Die Menschheit stirbt also nicht aus, wie man beim Lesen der Handlung mit Sofia und Markus den Eindruck bekommen kann?

Nein, aber die Zivilisation tut es. Auch in dem Maße, dass die spätere Steinzeitgesellschaft alles darüber vergessen hat. Und dazu müssen dann doch einige Generationen vergangen sein.

Immerhin gibt es auch ein paar lustige Szenen. Wie bist du auf den Einsatz der Figuren aus „Dinner for One“ gekommen?

Das war Zufall. Das Mädchen habe ich ja Sofia genannt, was im letzten Jahr der häufigste Name für Mädchen war. Früher haben die Leute sich über meine Namensauswahl als zu unzeitgemäß beschwert. Da sie und Markus die formalen Rituale früherer Zeiten wiederbeleben wollen und wenn man dann auch noch an die Serien denkt, die auf englischen Landsitzen spielen, dann ist die englische Miss Sophie direkt naheliegend. Als der Name auftauchte, war es nicht schwer, Mr. Winterbottom aus dem Schubkasten zu holen und später Sir Toby. Aber gleichzeitig ist es ja auch ein Kommentar zu den Klassenunterschieden und Gesellschaftsverhältnissen, die zu Kolonialismus und Ausbeutung anderer Völker geführt haben, die sich inzwischen wieder dort finden lassen, wo die Lebensbedingungen sich weltweit betrachtet voneinander entfernt haben. Aber Humor und Ernst zu kombinieren, kennzeichnet geradezu meinen Zugang zu diesen Themen.

Es ist sicher kein Zufall, dass die jungen Liebenden Romek und Yulla heißen?

Natürlich nicht. Sie sind mein Insidergag, der auf Shakespeares „Romeo und Julia“ anspielt. So, wie in seinem Drama, sind es zwei Jugendliche aus verschiedenen Familien, die sich nicht bekommen dürfen. Ein universales Problem, das auch in den fest gefügten Klansystemen, wie es die Stammesgesellschaften sind, existiert.

Aber die Sprecher der Stämme artikulieren sich doch recht gut und vernünftig in ihren Überlegungen.

Das fand ich nur natürlich. Ich wollte sie nicht als Primitive bloßstellen. Das wäre zu billig gewesen. Den Stämmen bleibt ja auch nicht so viel Spielraum, weil sie ja in jedem Fall an einem Existenzminimum leben. Hinter dem Konflikt steckt kein größeres Gleichgewicht wirtschaftlicher Macht. Deshalb musste ich bei der Dramaturgie mit einer prestigebehafteten Fragestellung spielen.

Da es sich nun nicht um einen globalen Atomkrieg handelt, wie wahrscheinlich ist es, dass unsere Zivilisation untergeht?

Ja, das ist die große Frage. Ich behaupte also, dass es den nachfolgenden internen Kämpfen der lokalen obersten militärischen Führer und die aus Mangel an der Verteilung von Medikamenten stattfindende Ausbreitung von Epidemien wie Typhus und Cholera erlaubt sein wird, um sich zu greifen. Und das wird zu einer weiteren Dezimierung der Bevölkerung in so hohem Maße führen, dass es beinahe dazu kommt, dass nur noch so viele Individuen übrig bleiben, dass sie keine reproduzierbare Population wiederbegründen können. Aber es gelingt dann offenbar doch, trotz der Geburt einer Menge deformierter Babys. Wie bekannt, bin ich ja ein grundlegend menschenfreundlicher Autor.

Aber, dass die neuen Völker der Steinzeit absolut alles über ihre Vergangenheit vergessen haben sollen, ist das nicht, entschuldige den Ausdruck, unglaubwürdig?

Deshalb bin ich ja auch der Meinung, dass eine bewusste Verdrängung im Spiel sein muss. Über Generationen hat man einfach keine Erinnerungen über die alte Gesellschaft weitergeben wollen. Teils, weil man sich über die deutliche Erinnerung an die Folgen der gescheiterten Zivilisation geschämt hat und teils, weil man nicht wollte, dass die Stämme beginnen sollten, einen Ehrgeiz zu entwickeln, der dazu führt, diesen gescheiterten Typ Zivilisation wiederzubeleben. Die Menschen können doch eigentlich auf dem Niveau der Steinzeit leben und, so wie ich sage, sich in ihrer Gesellschaft vielleicht ebenso glücklich fühlen, ja, vielleicht sogar in noch höherem Maße, weil die Ablenkung und die Versuchungen durch das Streben nach einer Entwicklung eines materiellen Wohlstandes töricht, überflüssig und letzten Endes unmoralisch sind.

Örvar ist eine der Hauptpersonen …

Das ist richtig. Er ist in der entsprechenden Hälfte des Buches die wichtigste Person. Er ist unglücklich in Yulla verliebt und muss sich mit seiner unmündigen Rolle abfinden. Aber er ist auch der Held, der allen Gefahren und Gerüchten die Stirn bietet, um seiner Geliebten zu Hilfe zu kommen. Auch nachdem er einsehen muss, dass sie einen anderen liebt. Das ist ergreifend. Aber es sieht ja so aus, als bekäme er zukünftig eine große Rolle in der Entwicklung der Stammesgesellschaft.

In dem Abschnitt mit Sofia und Markus hast du ein Erzählmodell gebraucht, das Züge von John Wyndhams Buch trägt?

Das war keine bewusste Entscheidung und außerdem ist die Struktur sehr natürlich. Unsere Identifikationsfiguren sind gezwungen, sich durch eine kollabierte Gesellschaft zu bewegen, und dadurch bekommen wir auch einen Einblick in die Konsequenzen der Katastrophe. Sofia und Markus befinden sich auf der Flucht, um während des laufenden Untergangsprozesses überleben zu können, der sich im Verlaufe der Geschichte weiterentwickelt. Als sie glauben, das Ende des Weges erreicht zu haben und eine Chance für ein Überleben erahnen, fällt auch dieser Zufluchtsort der Vernichtung zum Opfer. Am Ende bleibt ihnen nur der Bunker.

Zu dem Bunker hat dich sicher auch etwas Konkretes inspiriert?

Selbstverständlich. Ich habe eine ausgezeichnete Sendereihe unter dem gemeinsamen Titel „Alt forladt“ gesehen. Darin besuchen Journalisten geschlossene Anlagen und Institutionen, besonders unterirdische Bauten. Darunter befand sich auch der große Bunker in Rold Skov, für den angedacht war, dass darin die oberste Führung des Landes Zuflucht suchen und sich aufhalten sollte, falls ein Atomkrieg drohte. Es war eine spannende Sendung und es hat auch als Inspirationsquelle für die Klimax meiner Geschichte gedient.

Bist du mit den apokalyptischen Dramen dann fertig?

Das weiß ich wirklich nicht, aber ich habe auch ein Pamfilius Buch geschrieben, das noch nicht herausgekommen ist, „Andreas und die verschwundene Seele“. Darin ist ein Planet verwickelt, der durch einen ausgedehnten Krieg, hervorgerufen durch fehlende Ressourcen, mit denen eigentlich eine unmögliche Expansionsstrategie weitergeführt werden soll, entvölkert wurde. Ich habe dieses Thema also von verschiedenen Seiten beleuchtet.

Schon jetzt kann man erkennen, dass deine Bücher einer gemeinsamen Linie und Haltung folgen.

Ich bin auch der Meinung, dass ich dabei bin, mir ein Profil als Autor aufzubauen, das voll und ganz mein eigenes ist. Auf Sicht ist das auch die beste Grundlage für eine mögliche zukünftige Akzeptanz. Wenn in ein paar Jahren ein duzend Titel herausgegeben sein werden, wird man in meiner Entwicklung als Autor eine klare Linie erkennen können, denn ich halte mich an mein übergeordnetes Thema „Zwischen Leben und Tod“. Ich kann jetzt auch eine Auflagenhöhe anvisieren, sodass ich in dem Projekt keinen Verlust erleiden muss. Ein größerer Verlag würde das tun, wenn er hinter der Veröffentlichung stünde.

Beunruhigt es dich nicht, ein unbeachteter Buchautor mit kleiner Auflage zu sein?

Nicht besonders. Ich muss die Bücher machen, die zu schreiben in meiner Natur liegen und für die ich etwas empfinde. Und wirtschaftlich brauche ich keinen Erfolg, um zurechtzukommen. Ich habe inzwischen schon weitere Bücher für Veröffentlichungen der nächsten Jahre auf Halde liegen. Vielleicht kann der Fakt, dass sie jetzt auch in anderen Sprachen erscheinen, dabei helfen, dass ich ein internationales Publikum erreiche, dessen Geschmack anders ist. Oder das wenigstens ein so großes Sprachgebiet repräsentiert wird, dass ich allein dadurch, die Bücher in diesen Sprachen zugänglich zu machen, eine gewisse Anzahl von Lesern erreichen kann, weil das potenzielle Publikum größer ist.

Nagt da nicht trotzdem irgendetwas? Ein rechtschaffener Ehrgeiz, spüren zu wollen, von einem Publikum akzeptiert zu werden, für das man arbeitet? Heutzutage wird in Magazinen ja kaum Literatur besprochen.

Wenn ich jünger wäre, dann vielleicht. Aber jetzt bin ich älter geworden und weiß, wie die Musik spielt. Und ich kenne die Marktmechanismen und die beschränkenden Konsummuster, die beim Publikum eingeführt sind. Es gibt viele andere ausgezeichnete Autoren, die unbeachtet bleiben, weil der Buchmarkt sich so sehr auf die sich gut verkaufenden Krimiautoren fokussiert hat, die den Verlagen das Überleben sichern sollen. Früher konnten andere Autorentypen in den Sortimenten der Verlage Platz finden, weil dazu Luft im Budget war. Aber diese Möglichkeit hat sich stark eingeschränkt. Außerdem muss man als erfolgreicher Autor heute eine nach außen gewandte und werbende Persönlichkeit besitzen, um das Publikum zu erreichen und es anzusprechen. Das liegt mit leider nicht richtig, auch wenn ich mich gezwungen fühle, durch die neuen sozialen Medien auf mich aufmerksam zu machen. Glücklicherweise hat sich die Möglichkeit aufgetan, seine Sachen als E Books selbst herauszugeben. Und das mache ich jetzt mit meinen ausländischen Fassungen, wie man auf www.questland.org sehen kann.

 

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