Questland
Ein Interview mit dem Autor Freddy Milton
Geführt von Anders Christian Sivebæk
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Jetzt hast du also ein Buch geschrieben. Doch wieso erst jetzt? Es ist doch etwas spät, um als Romanautor zu debütieren.
Das stimmt, aber offensichtlich habe ich bisher mein Bedürfnis, Geschichten zu erzählen, durch meine vielen Comics befriedigt bekommen, mit denen ich herrliche Erlebnisse hatte.
Weshalb wurde es dann dieses Mal kein Comic?
Tja, ich hatte eigentlich schon das Manuskript für ein Spiel-des-Schicksals-Comic mit einem vergleichbaren Thema geschrieben. Er sollte „Avatar“ heißen und über eine Rollenspielfigur aus dem Internet handeln, die plötzlich aus dem Bildschirm fällt und dem armen jungen Gamer bei all den Problemen zu Hilfe kommt, die dieser in seinem realen Leben hat. Doch dann hatte ich eine Menge Ideen übrig, für die kein Platz war, und so probierte ich es versuchsweise als Buchstabenliteratur aufzuschreiben, und das uferte so aus, dass ich zum Schluss genug für einen ganzen Roman zusammenhatte. Und in ihm hat sich die Aufmerksamkeit auf die Rollenspielfigur verlagert, die in dieser Version zur Hauptperson geworden ist.
Warum gerade Fantasy?
Es ist jetzt nicht nur Fantasy, sondern ein Cross-over zwischen einer Fantasywelt und einer realen Ebene. Aber du hast recht. Ich hätte nicht darauf geschworen, dass ich jemals ein Fantasybuch schreiben würde, in denen ja in der Regel eine Menge Exotisches vor sich geht, doch ohne, dass wirklich etwas passiert. Doch dann bin ich über das Onlinegame gestolpert, das mich zu einer Perspektive inspirierte, die nicht so eingleisig und eskapistisch ist.
Wie kamst du auf die Idee?
Die Idee lag auch nicht auf der Hand. Ich selbst spiele nämlich keine Computerspiele. Aber mein Sohn Thorbjørn hat jahrelang viele Stunden damit zugebracht, das Spiel „World of Warcraft“ im Internet zu spielen. Er hat jetzt das höchste Level erreicht und wartet wohl, wie so viele andere, darauf, dass eine Erweiterung mit einem neuen Level herauskommt. Er ist jetzt auch älter geworden und hat andere Interessen gefunden. Also habe ich Onlinegames in meiner eigenen Familie wirklich gut kennengelernt. Von ihm habe ich auch die Information, dass Avatare prinzipiell in ein schwarzes Loch fallen und in einem Limbus, einer Vorhölle, des Internets verschwinden können, wenn man das Pech hat, seine Figur über ein Feld zu führen, das im Spielaufbau nicht ausreichend gut definiert ist. Das hat mich gefreut zu hören, denn so gibt es doch wenigstens eine reale Basis für den Teil der Logik, die das Verschwinden einer Rollenspielfigur betrifft. Und dann ist im Prinzip nur von mir hinzugefügt worden, dass sie in unserer Welt auftaucht.
Und um beim Thema zu bleiben, so hat sich meine jüngste Tochter zu ihrem 10. Geburtstag einen Gameboy gewünscht. Der wurde upgedatet und hat jetzt 60 bis 70 Spiele, und ihn benutzt sie nun unablässig. Also sind Computerspiele zu einem Thema geworden, für das viel Zeit geopfert wird, und nicht nur unter Kindern und Jugendlichen. Ich begegne fast täglich einem jüngeren Paar, wo beide eingefleischte Gamer sind. Sie haben sich durch ein Onlinespiel kennengelernt, das „Second Life“ heißt. Und so bin ich allmählich zu der Ansicht gekommen, dass diese Spiele und die Elemente, die dazugehören, es verdienten, in einem fiktionalen Zusammenhang interpretiert zu werden.
Glaubst du, dass die Idee originär ist? Man sollte doch meinen, dass eine so naheliegende Idee schon einmal verwendet wurde?
Darüber habe ich auch nachgedacht. Mir war das Thema vorher noch nicht begegnet, weder als Buch noch als Film. Und sollte das doch der Fall sein, dann ist es wohl kaum auf meine Art und Weise verwendet worden. Aber ich bin darauf durch einen ausgezeichneten holländischen Film aufmerksam geworden, den ich gesehen habe, „Ben X“, über einen Asperger-Autisten, der das Onlinespiel „Archlord“ als Zufluchtsort benutzte, weil er Mühe damit hatte, im wirklichen Leben zurechtzukommen. Es war ein unglaublich bewegendes und tragisches Erlebnis. Mich haben mein ganzes Leben lang Themen berührt, wo Kinder oder kindliche Seelen Probleme damit haben, sich an eine harte und anspruchsvolle Wirklichkeit anzupassen. Das spiegeln meine Comicgeschichten mit Fabeltieren wohl auch wider.
Man kann das Buch fast wie einen Film vor sich sehen.
Ja, und das ist wohl auch so, weil ich in Bildern denke. Und es sollte mich nicht wundern, wenn sich irgendwann eine Filmgesellschaft meldet, weil man darin Potenzial erkennt. Diese Art Thema stößt im Kino ja wirklich auf Publikumsinteresse, und die Technik hat jetzt einen Stand erreicht, auf dem man so eine Geschichte auf eine technisch zufriedenstellende Art präsentieren kann.
Wie meinst du das?
Neulich sah ich Robert Zemeckis „Beowulf”, für den man Sir Anthony Hopkins und andere tolle Schauspieler gefilmt hat, während sie mit am Körper befestigten Elektroden herumliefen. Dadurch bekommt man viele digitale Referenzwerte und kann die Identität der Schauspieler durch eine computergenerierte Figur austauschen. Man kann aber immer noch die Hopkins-Identität hinter dieser Rollenfigur spüren. Doch einen teuren und guten Schauspieler wie ihn anzuheuern und dann seinen realen Auftritt nur als Referenz für eine digitale Person zu verwenden, denke ich allerdings, ist der Overkill.
Na schön, im Fall von „Questland“ wird man dann einen Schauspieler finden, der auf der realen Ebene auftritt und den man dann gleichzeitig in seiner Rolle in „Questland“ mit Elektroden herumlaufen lässt. Und hier ist die Idee doch, dass die digitale Figur ihm so gut wie möglich ähnlich sein soll. Das lässt sich heutzutage leicht machen, damit die Illusion perfekt wird. Und das hat man sicher vorher noch nicht gesehen. Deshalb könnte ich mir vorstellen, dass das eine Herausforderung für eine Filmgesellschaft sein könnte. Besonders, wenn man eine neue Idee vorstellen und eine populäre Technik auf neue Art anwenden möchte.
Wie bist du auf den Titel gekommen?
Ich habe mehrmals den Ausdruck „zu questen” gehört, wenn Thorbjørn Termine verabredet hat, an denen seine Gruppe sich im Netz treffen und gemeinsam eine gefährliche Mission spielen wollte. Das war oft zur Essenszeit, sodass man, wenn man fragte, ob er essen wolle, zur Antwort bekam: „Nein, ich muss questen …“
Ist denn der Buchtitel vorher nicht verwendet worden? Er klingt so naheliegend.
Das habe ich auch gedacht. Also habe ich den Namen gegoogelt und bekam dann den Kommentar: „Meintest du Queensland?“ Also war der Titel in Ordnung. Doch dann sagte Jussi (Adler-Olsen) zu mir: „Den Namen solltest du registrieren lassen.“ Die günstigste Art, das zu tun, ist einen Domänennamen reservieren zu lassen, also habe ich „Questland.org“ gekauft. Ich hätte auch gerne „Questland.com“ gehabt, doch den hält ein Bursche aus Texas besetzt. Ich habe ihn gefragt, ob er ihn verkaufen will, doch ich habe keine Antwort bekommen. Aber somit wird der Name im Netz nicht verwendet.
Glaubst du, Gamer lesen Bücher?
Einige sicher, aber es ist wirklich nicht nötig, sich für Computerspiele zu interessieren, um „Questland“ zu verstehen oder etwas aus der Geschichte herauszuholen. Es funktioniert auf einer übergeordneteren Ebene. Denn einfach eine Buchausgabe von etwas, das einem Onlinespiel ähnlich ist, zu präsentieren, hat es sicher schon früher gegeben. Ich wollte keine „Me-too-Aktion“ machen.
Werden die Leser dann nicht enttäuscht sein?
Das glaube ich nicht. Ein Drittel des Buchs ist reine Fantasy, die auch ohne die Verknüpfung zu einem Onlinegame hätte funktionieren können. Aber dort, wo es dann zur Verknüpfung kommt, das ist natürlich im Übergang zwischen der Fantasie- und der realen Ebene. Michael Ende ist mir in dieser Hinsicht ein großes Vorbild gewesen, in der Richtung, dass das Fantasyelement eine besondere strukturelle Bedeutung bekommt. Doch dort, wo die reale Ebene oft nur eine Rahmenerzählung ist, geht sie hier also als gleichwertiger Teil der Parallelität in die Handlung ein. Ja, im Prinzip wohl als der wichtigste Teil.
Es ist also ein Metabuch?
Nein, nicht, wenn du damit meinst, dass ich mit den Grenzen des Mediums spiele und mit dem Wissen der Leute über die Mechanismen. Eigentlich habe ich das Doppeluniversum ziemlich ernst genommen und außerdem die grenzüberschreitenden Elemente als so wahrscheinliche gewählt, wie sie sich vorstellen lassen. Hier ist Thorbjørn eine große Hilfe gewesen. Doch es war ein Balanceakt zu entscheiden, wie weit sich die Kenntnisse der auftretenden Figuren über die Parallelität erstrecken sollen. Die meisten Dimensionsübertritte in Fantasy werden ja gebraucht, um Personen aus unserer Welt in ein Fantasyuniversum zu überführen, wie es in „Narnia“ passiert. Doch hier verläuft der Übertritt in die andere Richtung.
Und meine mittlere Tochter hat mit dem Blickwinkel des Mädchens auf die Dramaturgie, also auf das, was man im Verlauf der Geschichte erfährt, beigetragen; somit gibt es auch interessante Motive für das Mädchenpublikum. Ich bekam von meiner ältesten Tochter den Kommentar zu hören: „Na, du hast wohl ‚Enchanted‘ gesehen?“ Das hatte ich zwar, doch mein Cross-over hat doch seinen ganz eigenen Ton und Blickwinkel, und es ist auch keine Komödie, obwohl es dabei auch lustige Situationen gibt.
Weshalb hast du einen Icherzähler verwendet?
Das schien völlig natürlich und kam von ganz allein. Dadurch bekam ich auch eine zusätzliche Dimension in die Geschichte, weil unser Universum von einem Gast von außerhalb betrachtet wird. Wir bekommen damit als Leser die Möglichkeit, Dinge aus unserem Leben mit neuen Augen zu sehen. Wir wissen also mehr als unsere Hauptperson. Es ist auch eine Geschichte geworden, die sich entwickelt.
Hast du deshalb ein Zitat aus „Kaspar Hauser“ am Anfang des Buchs zu stehen?
Genau! Es war ein großes Erlebnis meiner Jugend, als ich den Film von Werner Herzog zum ersten Mal sah. Die Hauptperson ist einfach wundervoll, wenn sie sagt: „Es kommt mir vor …“ Dieser Satz war für viele Jahre ein Insidergag, den ich benutzte, wenn ich zeigen wollte, gründlich über alles nachgedacht zu haben. Das Thema einer naiven Person, die plötzlich lernen muss, sich in unserer komplizierten Welt zurechtzufinden, erlebte ich als ungeheuer faszinierend. Und das tue ich immer noch.
Ich kann mich auch an eine astrologische Persönlichkeitsbeschreibung von mir erinnern, bei der die Deutung darauf hinauslief, dass ich mich oft wie ein Besucher von einem fremden Planeten fühlte, der wie eine Art Beobachter auf das Leben um sich herum schaute. Diese Analyse machte großen Eindruck auf mich, denn ich fand, dass sie zutraf. Ich habe mich während langer Zeiten meines Lebens als außerhalb stehend empfunden und auf das Leben geschaut, ohne dass es mir wirklich gelang, sozial daran teilzuhaben. Ich kann nicht ausschließen, dass das zu meinem lebenslangen Wunsch beigetragen hat, Geschichten zu erzählen, die in diesem Fall als ein Versuch betrachtet werden können, ein paar Verhältnisse in den Griff zu bekommen, mit denen ich auf der realen Ebene vielleicht selbst nicht so richtig umzugehen vermag. Aber so geht es gewissen anderen Autoren vielleicht auch, und Künstlern überhaupt.
Dann war die Fiktion auf diese Weise hilfreich?
Ja, und ich bin wohl nicht allein. Ich glaube, viele andere benutzen die Fiktion dazu, um sich Klarheit über menschliche Mechanismen zu verschaffen, sowohl über die breit angelegten als auch über die spezielleren. Auch etwas, das man sich selbst auf der realen Ebene nicht auszuleben traut. Als Erzähler hat man im Prinzip eine große Verantwortung. Aber das Publikum möchte ja auch herausgefordert werden, wenn es Bücher liest, im Gegensatz zu dem, was die Leute im Allgemeinen für den Fall halten, wenn man Comics liest. Und leider haben viele erzählende Comics es im Laufe der Jahre auch versäumt, ihre Leser herauszufordern. Und das hat wohl zu dem traurigen Leserverhalten beigetragen.
Du hast selbst versucht, erzählende Comics sinnvoller zu gestalten ...
Ja, aber das ist eine Sisyphusarbeit gewesen. Was auch immer man darüber denkt, aber ich bin bei Carl Barks zur Schule gegangen. Und für mich war die Faszination eben in seiner besten Zeit seine nuancierte Vermittlung menschlicher Gefühle. Doch mit der Zeit wurde Barks Opfer des Comiccodediktats alles Strittige zu vermeiden. Zuletzt war der Grad der Infantilität in seinen Comics ungefähr so verbreitet wie in anderen Comics, die auf diese Art gestaltet waren. Leider. Das Schlimmste ist jedoch, dass es auch zu einem oberflächlichen Vorurteil darüber geführt hat, was diese Literaturform kann und wozu sie heute benutzt werden darf. Viele fantasielose Mittler meinen immer noch, dass Comics dieses Stils nur unverbindliche Unterhaltung für Kinder vermitteln können und sollen. Und das finde ich, ist schade, wenn sie doch so viele schöne Qualitäten haben, die auf abwechslungsreiche Art benutzt werden können. Dafür habe ich jahrelang gekämpft, so gut ich es eben vermochte. Ich bekomme sicher die Hucke voll für Geschmacklosigkeit, wenn ich im Frühling meine Comicausgabe von „Muhammedkrisen“ [dt. Die Mohammedkrise] präsentiere. Mit Buchstabenliteratur hoffe ich, mich von diesen ungerechtfertigten Vorurteilen distanzieren zu können.
Wer ist die Zielgruppe deines Buchs?
Das ist eine typisch kaufmännische Frage. Speziell, wenn man etwas macht, das auch von Kindern und Jugendlichen zu verwenden sein soll, wird erwartet, dass alles auf eine besonders verbraucherorientierte Art und Weise vorbereitet und durchgekaut wird. Ja, eigentlich auch für Erwachsene, wenn man analysiert, von welchen inhaltlichen Motiven angenommen wird, dass sie große Auflagen garantieren. Es ist ein wenig deprimierend mit all diesen psychopathischen Schurken, die offenbar zurzeit in Thrillern herumtanzen und als Motor für die Dramaturgie grausame Dinge begehen müssen. In der letzten Zeit hat sich das in der Erwachsenenliteratur sehr ausgebreitet, denn verkaufsmäßig bringt es Erfolg.
Was mein eigenes Buch angeht, so hat mein Redakteur mich dazu gebracht, die Sprache zu vereinfachen, damit es für ein jüngeres Publikum leichter zu lesen ist. Auf dieses Konto gehen etliche grammatische Stilblüten, die ich unter zu Herzen gehendem Seufzen entfernen musste, und von denen ich anfangs dachte, dass es lustig wäre, sie mit reinzunehmen. So habe ich schließlich der Lesbarkeit Priorität gegeben.
Andererseits gibt es ja eine Menge andersartiger Bezeichnungen für Dinge in Questland, wie Orte, Personennamen, Tiere und Pflanzen. Und die Stellen, an denen Aciel seine eigenen Vokabeln verwendet, wenn er in unserer Welt Dinge oder Begriffe beschreibt, fügen ebenfalls einen humoristischen Aspekt hinzu. Ich wollte doch gerne, dass die Geschichte sich als spannend und rührend, lustig und traurig, gefährlich und nachdenklich präsentiert. Deshalb gibt es auch Tempiwechsel. Weitere Einlagen sind reine Actionszenen, andere verweilend oder stimmungsbeschreibend. Aber das Wichtigste ist, dass du nicht voraussagen kannst, welche Richtung das Geschehen nehmen wird, sondern von der Wendung, die die Geschichte bekommt, überrascht wirst. Der Verlauf der Geschichte wechselt zwischendrin mehrere Male den Gang, aber mit Übersetzungen, wie sie in der Entwicklung des Plots natürlich sind. Es ist die Art von Geschichten, von denen ich selbst so viel halte, wenn sie von anderen erzählt werden. Deshalb hatte ich diese Ambition ebenfalls. Doch es ist natürlich auch eine Rationalisierung, denn wenn man schreibt, denkt man nicht bewusst daran, denn dann wird alles zu mechanisch. Aber es ist ein großes Erlebnis gewesen, zu entdecken, dass man so viele Details während der Arbeit zu einem logischen dramaturgischen Muster organisiert bekommen kann.
Es gibt etliche gewaltsame Szenen in „Questland“ …
Das ist klar, wenn das Thema die Zusammenstellung von Prämissen über Leben und Tod in einem Unterhaltungsuniversum ist und dazu dann die entsprechenden ernsten Bedingungen unserer wirklichen Welt kommen. Ich hatte ein Bedürfnis, diese beiden angularen Elemente gegeneinander zu setzen und zu sehen, ob es Funken schlagen würde, und ich denke, das tut es. Aber ich bin ja auch stark voreingenommen. Ich möchte doch glauben, dass die Geschichte von Lesern von elf, zwölf Jahren an und darüber hinaus geschätzt werden kann. In unserer Zeit ist die Altersgrenze für das Lesen und Sehen extremer Dinge ja ein gutes Stück gesunken. Doch die Frage über Leben und Tod ist wohl auch für alle aktuell, unabhängig des Alters. Seit Astrid Lindgren die „Brüder Löwenherz“ schrieb, sind eine Menge Bücher für Kinder und Jugendliche erschienen, die vom Tod handeln. „Die unendliche Geschichte“, finde ich, ist auch nicht nur ein Kinderbuch, obwohl ein Kind der Einstieg in das Geschehen ist. Dort dreht es sich um Leben oder Tod der ganzen Fantasyliteratur.
Im Allgemeinen kann ich sagen, dass mich im Laufe der Zeit am meisten die Erzählungen ergriffen haben, in denen ein Kind der Einstieg in die Erfahrung einer Erwachsenenwelt ist.
In meinem Fall ist es das Spiel um Leben und Tod für einen Krieger aus einem Onlinegame, in dem er sich in so etwas wie einer mittelalterlichen Umgebung befindet. Dort sind die Ideale mehr klanorientiert und härter, als wir es von unserer durchregulierten und zivilisierten westlichen Gesellschaft gewohnt sind. Wir sind vielleicht gerade dabei, unsere jüngere Vergangenheit zu vergessen und fast entrüstet über die Regionen auf der Erde, wo man in der Entwicklung nicht so weit gekommen ist, sondern noch immer auf eine raue und harte Weise um sein Dasein kämpfen muss. Ein Honigtopf wie unser kleiner Dänischwerder ist eigentlich eine Ausnahme in der großen weiten Welt. Darauf werden wir dann aufmerksam gemacht, wenn Dänemark im Ausland stationierte Soldaten verliert.
Ja, du hast einen im Mittleren Osten stationierten Söldner im Buch, der eine heftige Geschichte erzählt. Ist das nicht schon hart genug?
Mein Redakteur hatte auch Bedenken deswegen, doch das finde ich überhaupt nicht. Eigentlich habe ich Martin an einer Sache wie der bei Haditha teilnehmen lassen, wo viele Zivilisten von westlichen Soldaten niedergemäht wurden. Dann kommt er nach Hause und erzählt es Aciel, der ja auch Krieger ist. Nichts wäre natürlicher, und es ist notwendig, diesen Blickwinkel mit in einem Buch zu haben, das von den Bedingungen für Leben und Tod auf verschiedenen Ebenen handelt.
Gibt es weitere Inspirationsquellen?
Auf der unterhaltungsmäßigeren Ebene habe ich großes Vergnügen an William Goldmans „Die Braut des Prinzen“ gehabt, das ich in der Filmfassung „The Princess Bride“ kennengelernt habe. Hier spielt Peter Falk den Großvater, der immer wieder durch den kranken Jungen unterbrochen wird, dem er aus einem Buch vorliest. Das inspirierte mich zu der Szene, in der Brüderchen ganz hingerissen den Erzählungen Aciels aus Questland lauscht. Neulich sah ich „Löwen aus zweiter Hand“, auch das ist einer der Filme, die mit parallel laufenden Geschichten aus einem Adventureuniversum und aus unserer Welt angereichert sind.
Du hast auch gewalttätige Kapitel aus Questland geschrieben. Kommt die Inspiration aus der Comicwelt rund um Drachen und Seeschlangen?
Das ist klar, wenn man mit Barks aufgewachsen ist und man sagt: ”Seeschlange”, dann kommen einem notwendigerweise gewisse Assoziationen. Und es würde mir schwerfallen, diesen Einfluss zu leugnen, wenn ich eine Seeschlange präsentiere, die einen Kratersee hinaufkriecht. Aber in den Fabeltiercomics geht es ja um moderate Bedrohungen. In richtiger Fantasy hingegen benutzt man diese Wesen als gefährliche Chaoskräfte, die die Balance der Gesellschaft bedrohen. Und das ist dann auch der Dreh, den ich im Buch gewählt habe.
Weshalb hast du in „Questland“ die Burg Glimmingehus wiederverwendet?
Ich brauchte eine Burg, auf der Prinzessin Marguerite gefangen gehalten wird. Und weil ich anlässlich meiner Comicausgabe von Selma Lagerlöfs „Grårotterne og Sortrotterne” [aus „Die wunderbare Reise des kleinen Niels Holgersson mit den Wildgänsen“] früher schon gründliche Studien von Glimmingehus angestellt hatte, hatte ich Bilder und Grundrisse daheim. Deshalb dachte ich: „Warum eigentlich nicht die benutzen?” Also tat ich es. Und die Existenz der Burg auch in Questland kann ja leicht erklärt werden. Ich bin historisch immer sehr interessiert gewesen, und genau diese Burg Glimmingehus hat mich fasziniert, weil sie ein ausgeklügeltes System von Verteidigungsmechanismen besitzt, um eindringenden Feinden entgegenzutreten. Jedoch ist es nie benutzt worden, denn die Burg wurde so spät erbaut, dass die Kriegsgeschichte sich schon von Belagerungen und Burgangriffen wegentwickelt hatte. Ich fand, dass das irgendwie ein wenig ärgerlich war. Deshalb kompensiere ich das jetzt dadurch, dass ich Glimmingehus einem Angriff aussetze, auch wenn er in einer Parallelwelt bleibt, mit einem Kampf gegen eine Zauberin in Drachengestalt und ihre Anhänger.
Über Glimmingehus und im Ausland stationierte Zeitsoldaten hinaus, hast du noch über andere Themen aus dem Buch Recherchen angestellt?
Ich hörte eine interessante Sendung über Spielleidenschaft. So etwas ist sehr erschreckend für einen Kerl wie mich, der sehr umsichtig mit seinen Lebenshaltungskosten umgeht. Und was bandenrelevante Gewalt angeht, so kommt die Dokumentation zurzeit von selbst ins Rollen. Gerade während ich das Buch schrieb, gab es eine Woche, in der es fünf Tage am Stück Nachrichten von Attentaten und Überfällen in Kopenhagen gab. Aber ich greife generell auf Wissen zurück, dass ich durch das Verfolgen der Nachrichten bekomme, und dann sehe ich auch eine Menge Dokumentationen im Fernsehen. Speziell DR 2 ist eine gute Quelle für Dokumentarfilme. Die Besten nehme ich auf und verwahre sie in meinem Archiv, so kann ich sie wieder ansehen, wenn ich Bedarf habe, das Thema aufzufrischen. Als wir gestern Abend „Ben X“ sahen, fand ich es lustig, dass ich dir anschließend „Valo-Manden“ zeigen konnte, der auch von einem Autisten handelt.
Für einen Zeichner muss es verlockend gewesen sein, dem Buch ein paar Illustrationen oder Vignetten hinzuzufügen. Also wieso gibt es bei dir keine?
Ja, und ich hätte mir auch eine Karte über Questland ausdenken können, aber selbst das habe ich bewusst unterlassen. Ich betrachte den reinen Comic und den reinen Roman als für sich jeweils gute homogene Ausdrucksformen, wenn es darum geht, eine nachhaltige Vision zu präsentieren. Hingegen schüre ich eine tiefe Skepsis gegenüber Hybridformen, bei denen etwas aus einer Geschichte als Comic und etwas anderes als Prosastück erzählt wird. Das ist ruinös für die Illusion, auf die einzusetzen man sich bei der Vermittlung der Fiktion eingelassen hat. Du ruinierst das Einleben in die Geschichte jedes Mal, wenn du die Ausdrucksform wechselst. Man bleibt dann mit einem Verlust an Glaubwürdigkeit zurück. Du wirst daran erinnert, dass es nur eine Geschichte ist, die man als eine Folge von missverstandenem Verbraucherentgegenkommen manipuliert hat, damit es klug und appetitlich aussieht. Die Buchstabenleute glauben, dass sie weitere Leser anlocken, und die Illustratoren glauben, dass sie einen Rückhalt von Seriosität bekommen, wenn sie sich darauf stützen. Beide Parteien gehen leider grausig fehl. Diese Form kann vielleicht noch verwendet werden, um einzelne Geschichten zu vermitteln, aber für die Fiktion mit Ambition und Spannweite taugt es nicht.
Andere Fantasyautoren machen oft ganze Serien von Büchern. Und du hast ja Comics mit mehreren Titeln gemacht. Denkst du an einen Nachfolger für „Questland“?
Ich habe die Idee für eine andere Geschichte mit Leben und Tod als durchgehendem Thema, doch es ist kein „Questland 2”. Aber sollte das erste Buch ein Erfolg werden, dann hat das Thema etwas, das Anlass zu weiteren Interpretationen in einem neuen Buch geben kann. Es gibt ja schon einige lose Fäden aus dem ersten Buch. Wenn man sieht, wie Cornelia Funke ihre ursprüngliche Idee aus „Tintenherz“, mit Menschen aus einem fiktiven Universum, die in unsere Welt kommen, weiterentwickeln kann, dann kann man sich natürlich auch eine Entwicklung der Questland-Idee vorstellen. Doch die wird nicht heißen: „Walter und seine Freunde kehren zurück und siegen wieder …
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