Questland - Der Prinz und der Verlierertyp Also gibt es doch eine Fortsetzung von „Questland“, das wir nun wohl Nummer eins nennen müssen? Ja, es verging eine lange Zeit, bis ich als Zugang den Blickwinkel gefunden hatte, der das Konzept so erweitern konnte, dass die Fortsetzung eine neue Geschichte auf einer anderen Ebene erzählt. Was meinst du? Die meisten Fortsetzungen von ersten Episoden kommen nicht an, weil die Schöpfer mit dem ersten Zug eigentlich ihre Erzählmöglichkeiten ausgeschöpft haben und dann aus kommerziellen Gründen eine Fortsetzung mit mehr Handlungsschnitzerei aus derselben Schublade machen. Und allein das ist schon selten. Kannst du ein Beispiel für eine gelungene Fortsetzung geben? Ja, „Toy Story“ war eine gute Geschichte, aber die Fortsetzung war eigentlich besser. Als man dann einen dritten Film der Reihe machen wollte, haben die Urheber händeringend versucht, einen neuen Blickwinkel zu finden, und das ist gelungen. Sie haben eine Erzählung über das Schicksal des Spielzeugs geschaffen, aus einer größeren Perspektive heraus betrachtet. Das trug zu einem neuen Konzept bei und bekam seine eigene Existenzberechtigung. Doch solch eine Strategie ist schwierig, weil da weitere Elemente und in der Regel auch Figuren ins Spiel kommen, sodass es ein Problem werden kann, die notwendige Nähe und Identifikation zu bewahren. Hast du dann etwas Entsprechendes bei deinem erweiterten Questlandkonzept versucht? Das habe ich. Im ersten Buch hatte ich als grenzüberschreitendes Element eingeführt, dass Avatare in unserer Welt wiedergeboren werden können, und die Mühe Aciels beschrieben, das neue Leben auf der Erde zu meistern. Apropos Aciel. Du konfrontierst Aciel nie mit der harten Wirklichkeit, dass er als Avatar nur eine Marionette in den Händen der Puppenspieler unserer Welt ist. Das hat doch einen Grund? Ich bin der Meinung, ich sollte ihm einen gewissen Grad an Treuherzigkeit bewahren. Die harte Erkenntnis, wie alles im Detail zusammenhängt, wollte ich ihm ersparen. Ein wenig Naivität soll er sich bewahren dürfen. Deshalb ist es nicht zufällig, dass er es nicht erfährt. Es ist eine bewusste Wahl oder Abwahl. Was hast du dann für Entscheidungen bezüglich der Konzeptentwicklung getroffen? Zuerst hatte ich mir überlegt, dieselben Figuren wie im ersten Buch zu verwenden, aber das hat nicht getaugt. Also Solvej, Kent, Skrupsak und Brüderchen wurden verworfen. Mit ihnen hätte es nur wieder das Gleiche gegeben, und das wäre, wie gesagt, nicht genug gewesen. Aciel und Mankor habe ich behalten, doch das Publikum verdiente eine neue Sichtweise. An dieser Stelle tauchen der Prinz und der Verlierertyp auf der Bildfläche auf? Genau. Sie sind im ersten Band nicht mit dabei gewesen. Es sind zwei gleichaltrige Abiturienten, die im Onlinegame „Questland“ gemeinsam questen und nervige Pannen erleben, die sich nach dem letzten Spielupdate gehäuft haben. Du bekommst auch Szenen zu lesen, wo du sie mit ihren Avataren im Spiel agierend erleben kannst und gleichzeitig auch das Spiel verfolgst. Es ist die Eröffnungsszene des Buchs. Bei dem Titel muss man an den Klassiker „Der Prinz und der Bettelknabe“ von Mark Twain denken. Ähneln die beiden Jugendlichen sich hier auch wie ein Ei dem anderen? So fing es tatsächlich an, aber das Detail mit der Ähnlichkeit habe ich fallen gelassen, das nur notwendig gewesen wäre, wenn die beiden die Identitäten getauscht hätten. In Mark Twains Erzählung ist das ein wichtiger Punkt, aber nicht mehr heute, wo die Gesellschaft nicht mehr in dem gleichen Grad streng nach Klassen aufgeteilt ist, und es nicht mehr die Konsequenzen hat, die diese Aufteilung mit sich brachte. Trotzdem hast du es als Referenz beibehalten? Ja, denn ich brauchte, dass einer von ihnen sehr reich war und großen finanziellen Spielraum hatte, selbst Entscheidungen treffen zu können. So bekomme ich am Anfang auch ein wenig Kontrast in das Leben, das die beiden Gamer für gewöhnlich führen. Weshalb begegnen sich Tom und Jan zum ersten Mal erst auf der Computermesse? Das ist eine dramaturgische Entscheidung. Selbstverständlich kann man sich fragen, weshalb die beiden noch nicht am Handy miteinander gesprochen und persönliche Informationen ausgetauscht haben, wenn sie doch schon im Netz über das Spiel chatten können. Aber ich wollte in der Geschichte ihre zufällige Begegnung gerne als spannendes Kapitel verwenden. So etwas ist Autoren ja erlaubt, ebenso, wie sie immer auch das Recht haben, am Anfang einer Horrorgeschichte alle Handys abzuschaffen, damit die Personen sich selbst überlassen werden, um selbst zurechtzukommen. Als Publikum akzeptiert man das. Die Spannung steigt, als beide sich gemeinsam auf die Jagd nach Magnus dem Mächtigen machen. Den ursprünglichen Schöpfer des Spiels „Questland“ einzuführen, trägt zu etwas zusätzlich Grenzüberschreitendem bei, mit dem ich mich identifizieren kann. Das glaube ich gern. Er als ein schöpfender Allmächtiger in seiner Computerspielwelt, in der du der Allmächtige als Schöpfer deiner Bücher bist. Genau. Und die Frustration darüber, das Recht an und die Verantwortung für sein Schöpfungswerk verloren zu haben und obendrein die Erkenntnis, dass sein Werk von kommerziellen Eigentümern fortgeführt und ausgenutzt wird, die Geld um jeden Preis verdienen wollen, damit kann ich mich auch identifizieren. Als ein Autor, der lange an einem Universum mitgearbeitet hat, dass mir nicht selbst gehört und das ich nicht selbst kontrolliere. Die unzufriedenen Gamer werden selbst auch aktiv. Sehr aktiv sogar, muss man sagen. Ich war der Meinung, dass sie das verdienten. Statt dafür zu bezahlen, in einem degenerierten Spiel mitzumachen, bekommen sie nun neue Herausforderungen auf einer anderen Ebene. Das Gleiche gilt für die Avatare. Ist diese Entwicklung der Handlung wahrscheinlich? Das ist sie, wenn man die Voraussetzungen des ersten Bandes akzeptiert hat. Und in unserer Welt ist es allmählich immer undurchschaubarer geworden, wem etwas gehört und wer die großen Geldpools kontrolliert, in denen viele Unternehmen in großen multinationalen Konglomeraten versammelt sind. Hier bekommt das Buch beinahe einen politischen und ideologischen Aspekt. Das lässt sich irgendwie nicht umgehen, aber ich habe das nur als Resonanzboden benutzt, der natürlich auch glaubwürdig sein muss. Der Fokus soll aber auf den konkreten Handlungen liegen, in die unsere Hauptpersonen involviert sind, sonst verliert man die Identifikationsmöglichkeit. Ist es nicht schwer, wenn man die Perspektive erweitert, um umfassender zu werden? Das ist es, aber man ist genötigt, sich dieser Frage zu stellen, wenn die Geschichte zu größeren Konsequenzen führen soll, als zu denen, die mit Einzelfiguren verbunden sind. Ich denke doch, die Aufmerksamkeit damit gefesselt zu haben, dass unsere Hauptpersonen die ganze Zeit über im Mittelpunkt stehen. War es von Beginn an ein Aspekt, dass Jan erkennen sollte, dass seine eigene Stellung auf einer Wirklichkeit beruhen könnte, die die Ausbeutung und Unterdrückung anderer bedeutet. Ich wusste nicht so ganz, welcher Raum mir dafür blieb, aber ich meine, ich habe es irgendwie an seinen Platz geschoben, sodass es nicht allzu sehr von politischer Korrektheit belastet wirkt und die Intensität der Dramaturgie ruiniert. Ich habe es auf ein Konzentrat eingekocht, das die Leser nicht allzu verstören sollte. Ich selbst bin nämlich auch ziemlich skeptisch, wenn ich Besserwisserei sich in dramaturgischen Zusammenhängen anderer Autoren entfalten sehe. Du hast im Grunde vielleicht auch eine Schwäche für einfache unpolitische Klamaukgeschichten, die nicht von erzieherischen Überlegungen belastet sind? Nicht unbedingt, aber ich anerkenne meine Verantwortung. Die medialen Produkte, die nur so viele billige Effekte und Hau-drauf-Action wie möglich versammeln, langweilen mich auch. Hinter allem muss es einen Sinn geben und eine Haltung, die man auch spüren kann, aber darüber soll nicht nur gesprochen, sondern es soll am besten auch gezeigt werden. Es geht um Ausgeglichenheit, und die richtige Zusammensetzung zu lehren, ist eine laufende Herausforderung, damit der Cocktail auch kribbelt und schmeckt. Wie im ersten Buch, so gibt es auch dieses Mal Kapitel, die das Leben in Sarlydor behandeln. Die gibt es, und sie sind auch bedeutsam. Hier haben wir die Schöpfung ja von innen heraus gesehen und hier erleben die Geschöpfe, also die Avatare, wie es ist, wenn sich ein Universum auf seine Auflösung und seinen Untergang zubewegt. Das ist mit großen Qualen und Gefahren verbunden, aber für einen Dramaturgen ist es natürlich eine Situation mit spannenden Herausforderungen. Die Avatare bewegen Zweifel und philosophische Überlegungen. Sie spiegeln die Frustration und Genervtheit wider, die sich auch unter den Gamern außerhalb Sarlydors in unserer Welt ausgebreitet hat. Für sie ist es auch eine Frage, ob das Game weiter funktionieren kann und ob es das auf der persönlichen Ebene tut, also, ob man vielleicht der nächste Gamer sein wird, der seine mühevoll aufgebaute Spielfigur in einem Schwarzen Loch verliert. Jedwede Bewegung in dem Universum ist mit Zweifel und Angst vor der Zukunft verbunden, und man wird von Frustration und Zorn erfüllt, von denen man nicht weiß, gegen wen man sie richten soll. In dieser Hinsicht gibt es also eine deutliche Parallele zwischen den Existenzbedingungen der Gamer und der Avatare. Diese Verbindung habe ich als zusätzliche Qualität erlebt, mit der ich spielen konnte. Aber dann taucht Magnus der Mächtige wieder auf. Ja, dann bekommt die Verschwörung Struktur und die Person, die seinerzeit das Universum geschaffen hat, lässt die Apokalypse Wirklichkeit werden, den Untergang. Das ist sehr passend und logisch, wenn das Universum in der Zeit vorher von inkompetenten Verwaltern ruiniert worden ist. Ist der Ausdruck „das Nichts“, das sich in Questland ausbreitet aus Michael Endes Buch „Die unendliche Geschichte“ entliehen? Man kann es gut einen Tribut an ihn nennen. Sein Buch ist gleichzeitig eins der vornehmsten Beispiele für Fantasy mit tieferem Sinn. Dass ein Land nur deshalb existiert und funktioniert, weil die Fantasie und die Anteilnahme des Volkes es am Leben erhalten. Der grenzüberschreitenden Parallelität nehme ich mich auf meine eigene Art an, in dem ich Computerspiele benutze anstatt Literatur. Mein Nichts tritt als eine Absenz eines definierten Universums oder einer unverantwortlich aufgebauten Erweiterung des Games in der Geschichte auf. Es ist außerdem völlig realistisch, dass manche Ergänzungen eingeführt werden, bevor sie ausreichend getestet worden sind. Das geschieht auch in der wirklichen Welt der Games, wo sie ebenfalls Anlass zu Verdruss und Kritik bei den Gamern geben. In meinem Fall werden diese Verhältnisse dann nur in großem Stil zu gefährlichen Konsequenzen übertrieben, auch in unserer Welt. Die Gamer fühlen sich beinahe wie Halbgötter, die die Menschen einer anderen Welt manipulieren. Das ist ja die Essenz des Computerspiels, und ich bin dann in der nächsten Konsequenz der ultimative Schöpfer und Gott, weil ich das Buch geschrieben habe. In einem Kapitel lasse ich die Krieger auch darüber philosophieren, was die Bedeutung des Ganzen ist und weshalb alles zusammenzubrechen scheint. Es wird zu einer sehr apokalyptischen Parallele zum Schicksal unserer eigenen Welt. Vielleicht gibt es jemanden, der uns Menschen manipuliert? Das schneide ich in „Amalie und der Schutzgeist“ und anderen Büchern an. Obendrein hast du in Sarlydor eine Erlöserfigur. Eine spirituelle Führergestalt, die auch verraten und hingerichtet wird. Es ist nicht schwer zu erkennen, zu wem er in unserer Welt die Parallele bilden soll. Ich habe Kantaryn im ersten Band eingeführt, ohne zu wissen, dass er im neuen Buch eine entscheidende Rolle bekommen würde. Nach und nach, so, wie ich ihn entwickelt habe, habe ich mich über diese Figur sehr gefreut. Ist es logisch, dass die Avatare ihr eigenes Leben bekommen und selbstständig denken? Das ist natürlich eine Behauptung, aber was ist in der Fantasy keine Behauptung? Es war mir wichtig, die Figuren als glaubwürdig und sympathisch darzustellen, mit weiteren verschiedenen Facetten als nur denen, die mit dem Kriegshandwerk verbunden sind. Computerspiele werden mit der Zeit ja durch verschiedene Parameter auch immer flexibler, deshalb wollte ich diese Entwicklung in „Questland“ ebenfalls anschneiden. Und wie man sehen kann, bereiten sich die Einwohner auch auf ein abwechslungsreicheres Leben vor, jetzt, wo sie am Ende ihre Freiheit bekommen. Wäre es zu hart gewesen, wenn Magnus alles zerstören würde? Das erkläre ich auch am Ende das Buchs, wo die Einwohner von Sarlydor über das Spiel des Schicksals nachdenken. Wie wahrscheinlich ist es, dass eine schöpfende Macht ihr ganzes Schöpfungswerk zerstört, nach all der Mühe, die sie oder er damit gehabt hat, das Ganze zum Funktionieren zu bringen? Das wäre nicht weiter glaubwürdig. Auch nicht mit einem langsameren Stufenmodell ohne übermächtige Einmischung von außen. Du stellst auch Überlegungen rund um die Relevanz von Glaube und Überzeugung an? Wenn ich schon auf eigene Faust unterwegs bin, dann ist es eine natürliche Sichtweise, das zu kommentieren. Dass die Lebensqualität der Menschen das Entscheidende ist. Und wenn diese durch einen Glauben an einen übergeordneten, steuernden Apparat gesteigert werden kann, ist es angemessen, das zu respektieren, auch, wenn es auf etwas Fiktivem aufbaut. So erleben die Menschen den Zusammenhang. Und das Wohlbefinden, dass man dabei erfährt, das ist das Entscheidende, und nicht, ob es ein einwandfreies Wirklichkeitsverständnis bemäntelt. Man muss selbstverständlich behutsam dabei sein, das vor religiösen Fundamentalisten zu erwähnen, die jeder für sich meinen, die einzig richtige Wahrheit gefunden haben. Mit solcher Art übergroßer Selbstsicherheit tue ich mich schwer, denn sie sät Zwietracht, anstatt Zusammenhalt zwischen den Menschen zu schaffen. Wird es ein drittes Buch über Questland geben? Das kann ich mir nur schwer vorstellen, denn jetzt habe ich ja Knoten in die losen Enden des ersten Bandes gebunden, und es gibt keine Hängepartie mehr, jetzt, wo das Spiel zu einem endgültigen Abschluss gebracht ist. Vielleicht gibt es immer noch ein paar freiwillige Selbstmörder aus Sarlydor, die auf die Erde gekommen sind, ohne bei der Verschwörung dabei gewesen zu sein? Ja, das ist möglich, dass es ein paar Abtrünnige gibt, die in unserer Welt verwirrt umherirren, doch, wenn sie zu laut von ihrer Vergangenheit sprechen, enden sie wohl damit, in einer geschlossenen Abteilung der psychiatrischen Fürsorge untergebracht zu werden. Vielleicht mir Ausnahme von Kantaryn? Ja, er ist ein kluger Kerl, deshalb würde er sich vielleicht an ein Leben auf der Erde als Guru oder so etwas anpassen können. Ich bin recht zufrieden damit, dass er gemeinsam mit Aciel und Mankor überlebt hat. Also könnte ein dritter Band von Kantaryn als spirituellem Guru auf der Erde handeln? Das glaube ich nicht. So haben wir ja Questland verlassen, und dann würde ich ja ebenso gut ein Buch über einen anderen Guru schreiben können. Irgendwie habe ich das auch schon getan, es ist nur kein religiöser Guru, sondern ein politischer Guru unserer Welt in den 1970ern. Das Buch heißt „Dorrit und der Meister aus Vindø“. |