Rosas Baby
Ein Interview mit dem Autor Freddy Milton

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Weshalb die Aufteilung der Geschichte über Amalie auf zwei Teile?

Eigentlich war aus der Geschichte des ersten Teils ein ziemlich langes Buch geworden, das die Durchführung der Götterkonferenz nebst Amalie umfasste sowie Pamfilius‘ Nachforschungen auf der Zwischenebene der Seelen, im Limbus. Das Buch blieb ein paar Jahre lang ungenutzt liegen und in der Zwischenzeit kam mir die Idee zum zweiten Teil, der handlungsmäßig eine neue und eigenständige Geschichte bildet.

Hatte das Einfluss auf die Gliederung?

Das hatte es. Das erste Buch mit Amalie waren 36 Kapitel, doch nun habe ich es auf 27 Kapitel gekürzt und die übrigen neun Kapitel zu den 18 neuen Kapiteln in den zweiten Teil verschoben, der unmittelbar das neue Geschehen verhandelt.

Weshalb hat es zwei Jahre gedauert, sich eine Fortsetzung auszudenken?

Zuerst hatte ich mir die Geschichte nur als einzelnes Buch vorgestellt. Aber während der Wartezeit hat mich Pamfilius nicht in Ruhe gelassen. Also kam mir die Idee zu zwei ganz anderen Geschichten mit ihm und Pollux, in denen sie verirrten Seelen helfen. Das nimmt seinen Ausgangspunkt in Missionen, die auszuführen ihnen auf der Limbus-Ebene auferlegt werden, die ja die Seelenebene ist, wo die frustrierten und wankelmütigen Seelen sich aufhalten. Es sind diese Geister, die es in extremen Fällen schaffen, sich als Gespenster in unserer Welt zu materialisieren, und deren psychische Anspannungen zum Zeitpunkt des Todes so drängend gewesen sind, dass sie nicht in der Lage waren, Frieden zu finden und dem Tunnel des Lichts ins Jenseits zu folgen. Wozu die meisten Geister oder Seelen glücklicherweise in der Lage sind.

Das klingt ziemlich wissenschaftlich. Man könnte glauben, dass es sich tatsächlich so verhält.

Ja aber, das tut es doch. Das habe ich wirklich durch zahllose Fernsehsendungen bestätigt bekommen, mit Beispielen von Menschen, die von Gespenstern geplagt werden und sich an ein Medium wenden, um das Problem gelöst zu bekommen. Ein fähiges Medium ist manchmal obendrein in der Lage, zu entscheiden, wem der unglückliche Geist gehört hat und ihm auf die andere Seite hinüberzuhelfen, damit die Hausbewohner Frieden finden können. Ein wichtiges Moment ist oft, dass das Gespenst sich Aufmerksamkeit dafür wünscht, dass ihm seine Existenz und sein unglückliches Schicksal anerkannt werden. Und in dem Augenblick, in dem es bei den Vertretern in unserer Welt zu Verständnis und Anerkennung kommt, ist der endgültige Übertritt auf die andere Seite leichter hinzubekommen.

Die andere Seite ist der Ort, den du „Seelenverwaltung“ nennst?

Ja, das ist in meiner Terminologie der Siebte Himmel. Hier habe ich wieder eine Menge verwaltungsmäßige Elemente, mit denen ich hantieren kann, und die auf Vorstellungen aufbauen, die wir uns als Menschen bereits über das Leben nach dem Tod gemacht haben.

Weshalb hat sich gezeigt, dass diese „Seelenverwaltung“ dir mehr Inspiration geboten hat?

Weil sich da ganz natürlich eine Menge psychischer Spannung und Dramatik rund um unglückliche Seelen konzentriert. Und damit habe ich in der Geschichte bereits einen menschlichen Konflikt, der aus irgendeinem Grund durch Unglücke, Krankheiten oder Selbstmord in einen Todesfall übergehen kann. Ich habe praktisch bis jetzt alle diese Varianten in den kommenden Büchern behandelt, die unter dem Serientitel „Pamfilius“ oder „Pamfilius & Pollux“ versammelt werden.

Also hast du dir in diesem Zusammenhang auch für die Probleme Amalies eine Entwicklung für ein neues Buch ausgedacht?

Tatsächlich war es mehr Amalies Vater, aber er war im ersten Teil ja auch dabei. Mir ist eingefallen, dass der Fakt, dass er ausnahmsweise überleben durfte, nach dem ersten Teil zu Komplikationen in der Himmelsmaschinerie führen könnte, sodass es möglich wäre, dass das Risiko einer größeren Katastrophe entsteht. Das war der Ausgangspunkt für die Überlegungen, die zum Handlungsablauf in „Rosas Baby“ geführt haben.

Du kehrst auf die Götterebene zurück und lässt es auf eine Konfrontation zwischen dem Guten und dem Bösen ankommen, oder wie es eben auf dem symbolischen Planeten hier ist: zwischen dem Allmächtigen und Luzifer?

An Luzifer hatte ich im ersten Band große Freude, somit war er eine Karte, die zu gut war, um sie abzuwerfen. Und ich war der Meinung, dass wir eine humoristische Konfrontation zwischen dem Allmächtigen und Luzifer erleben sollen dürften. Die Begegnung zwischen ihnen am Ende des Buchs hat mich während der Ausarbeitung unglaublich amüsiert. Vermutlich stehe ich in der Schuld etlicher komischer Hollywoodversionen dieser Konstellation.

Auch zwischen Pamfilius und Pollux kommt es zu viel Humor...

Auch davon war ich sehr hingerissen, so, wie sich das alles entwickelt hat. Das wird in den kommenden Büchern deutlicher werden, wo der Kontrast zwischen dem substanziell-tragischen des Grundmotivs durch die materielle und konkrete Art und Weise, wie die beiden die psychischen Probleme handhaben, abgemildert werden kann. In der Gegenüberstellung von psychischen und nicht fassbaren Elementen und erdverbundener alter Fahrradmechanikertechnologie steckt ein großes Humorpotenzial.

In dem neuen Buch gibt es das Upgrade auf die neue digitale Technik, die jetzt offenbar auch Eingang in das Jenseits findet.

Das ist eine klare Weiterführung der Probleme, die man im ersten Band mit der analogen Technik hatte, die verschlissen war und es nicht mehr schaffte, die neue Zeit mit ihren großen Informationsmengen und den Anforderungen an differenzierte Arbeitsabläufe zu bewältigen. Das macht sich offenbar auch im Himmelskontor bemerkbar...

Es scheint eine differenzierte Auseinandersetzung bei der Beschreibung des Gespenstes zu geben, das Amalie auf ihrer Reise durch Limbus findet?

Das ist nicht zufällig. Das Kapitel ist völlig autobiografisch. Es ist meine eigene Mutter, um die es geht, und ich habe ihr auf meine eigene tragikomische Art und Weise mit diesem Auftritt eine Gedenktafel graviert. Eigentlich ist es nicht nur sie, die autobiografisch porträtiert ist, auf vielerlei Weise bin auch ich es. Das Scheitern meiner Ehe hatte ohne Zweifel auch Elemente dieser im Buch beschriebenen Konfliktsituation zur Ursache. Vielleicht war es für mich gleichzeitig eine unbewusste Art, mit meinen eigenen Gespenstern umzugehen? Das Kapitel wurde aus dem ersten Teil in den zweiten verschoben. Das erste Buch über Amalie ist kurz nach meiner Scheidung geschrieben worden, doch irgendwie war es auch die ruhige und konzentrierte Zeit, die ich danach zur Verfügung hatte, die mich dazu brachte, die zusätzlichen Möglichkeiten zu entdecken, die in der Benutzung der Literatur als Ausdrucksform liegen. Hätte ich weiterhin in einer angespannten Beziehung gelebt, würde ich vermutlich nicht die Zeit und Energie übrig gehabt haben, mich darauf zu konzentrieren, Ordnung dafür zu schaffen, ein ganzes Buch zu schreiben, ja, obendrein sogar mehrere.

Autobiografische Einfärbungen sind wohl etwas, dass Autoren zuweilen einsetzen?

Das tun sie, denk nur an all die Filme, die von Schriftstellern oder Drehbuchautoren handeln. Was mich selbst angeht, so war Amalie mein erstes Buch, in dem die reale Ebene glaubwürdig deutlich werden sollte. In „Questland“ war der Erzähler ja kein realer Mensch, sondern nur ein Avatar. Doch in diesem Buch sollten die Menschen überzeugend wirken. Das mussten sie, wenn ich auf Persönliches eingehen wollte. Später habe ich mich über diese psychologische Beschränkung natürlich hinwegsetzen können.

In der Geschichte hast du auch eine anschauliche Beschreibung von Amalies plötzlichem schnellen Alterungsprozess, als sie durch einen Irrtum versucht, den Styx zu überqueren.

Charons Prahm und der Styx sind ein altes mythologisches Bild, das es in meinem Bewusstsein seit Kindertagen gibt, wo es mir in verschiedenen Zusammenhängen begegnet ist. Am prominentesten während einer Vorführung einer 16-mm-Kopie von Carl Theodor Dreyers Kurzfilm „De nåede Færgen” an der Volksschule, wo es in der Schlusseinstellung eben Charon ist, der in einem Prahm zwei Särge über das Wasser ins Totenreich stakt. Das Bild hat sich auf sonderbare Weise in meine Erinnerung geätzt. Sicher herrscht kein Zweifel daran, dass ich früh von Situationen begeistert war, die mit Tod und Untergang zu tun haben. Aber erst jetzt habe ich die Anziehungskraft, die das auf mich hat, wirklich erkannt.

Du hast eine Schwäche für expressionistische, symbolische Darstellungen?

Die habe ich, und was die Bücher angeht, die so etwas bieten, so hat es mir viel Freude bereitet, in meiner Jugend Science-Fiction-Romane zu lesen. Nicht nur die mechanistisch Beeindruckenden mit Dicks und Asimovs Beschreibungen, sondern auch die Einfühlsameren und Nachdenklicheren von Bradbury und Vonnegut. Und die völlig auf der Hand liegenden Beispiele aus Carl Barks‘ einzigartigem Universum brauche ich hier gar nicht zu nennen.

Es gibt eine spektakuläre Gefangenenflucht schwer erziehbarer Seelen aus dem Jugendgefängnis im Siebten Himmel...

Es war spannend, die ungezogenen Seelen beschreiben zu dürfen, und ihre Freude darüber, auf die Erde zurückzukommen, damit sie die schrecklichen Unglücksfälle der ganzen Welt verursachen können. Luzifer hatte wirklich einen ausgeklügelten Plan am Laufen, aber die Regeln des Erzählens verlangen ja, dass er scheitert. Es ist jedenfalls eine amüsantere Sichtweise, die ich in die Handlung einbringe, als in Ira Levins Horrorversion eines vergleichbaren Themas. [Rosemary’s Baby]

Komapatienten sind ein nachdenkliches Thema des Buchs...

Es war eine Steilvorlage das Thema Seelenwanderung aus diesem Blickwinkel zu kommentieren. Denn solange Patienten künstlich am Leben erhalten werden, wird die Seele ja daran gehindert, zu anderen und anregenderen Wiedergeburten weiterzuwandern. Sich vorzustellen, dass sie sich im Keller des Krankenhauses versammeln und ihre Umstände diskutieren, war für das Buch ein faszinierendes Element.

Wieder etwas Unchristliches, so, wie Reinkarnation ...

Ja, aber fragt man nach, dann gibt es erstaunlich viele sogenannte Christen, die an die Wiedergeburt glauben. Ich habe ein Buch mit Reinkarnation als wichtigem Element der Geschichte geschrieben. Das Bewusstsein kann ja betrachtet werden als unser persönlicher kleiner Anteil am kosmischen Bewusstsein, dem wir angehören und das eine kollektive Gemeinschaft bedeutet, in der wir vielleicht unbewusst Trost und Linderung durch unser Streben nach einer größeren Bedeutung unseres kleinen Lebens suchen. Der Reiz der Religionen baut schon zu einem großen Teil auf die Suche nach einem spirituellen Zugehörigkeitsverhältnis.

Kann das Publikum denn mit diesem beständigen Wechsel zwischen dem Humoristischen und dem Ernsthaften klarkommen?

Wer ist das Publikum? Mein Publikum sind die Leser, die das akzeptieren können, ja, mehr noch als das, die es obendrein wertschätzen. Es spiegelt nämlich meine grundlegende Einstellung zum Leben wider, die sich in allen meinen Büchern wiederfindet. Nämlich eine mehr oder weniger tragikomische Haltung zu allem, was um uns herum und mit uns passiert. Der Humor ist da ein gutes Werkzeug für das Reisegepäck, denn wenn man ihn benutzt, kann man unerwartete Situationen und plötzliche Misserfolge leichter akzeptieren. Es gibt ja niemanden, der uns versprochen hat, dass das Leben leicht und zumutbar oder gerecht sein wird. Zahllose Nachrichten aus der Welt um uns herum berichten uns, dass Misserfolg, Ungerechtigkeit und ein hartes Schicksal mehr die Regel als die Ausnahme sind. Der Glaube an eine regulierende, lenkende Macht ist vermutlich eine Illusion, etwas, dass wir aus der frühen Vergangenheit bei uns tragen, die noch chaotischer und bedrohlicher war, als wir es heute erleben. Darauf gehe ich in „Matthias und der Untergang“ ein.

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