Dania und die Rote Front Um dieses Buch zu schreiben, hast du dich entschieden, in die Zeit der siebziger Jahre zurückzukehren … Das hat sich geradezu angeboten, denn ich wollte meine persönliche Sicht auf einige Zustände dieses Jahrzehnts darlegen, das ich aus meiner Jugend kenne und das etwas zu bieten hatte, was man in anderen Jahrzehnten in dieser Form nicht findet. In meinen Augen ein sehr spannendes Jahrzehnt. Was hat dich inspiriert? Dreh- und Angelpunkt war der Umstand, dass junge Menschen freiwillig auf die Freiheit verzichteten, die sie sich auf mehrerlei Art während der Jugendrevolten Ende der Sechziger erkämpft hatten, um in den Kampf für eine andere Ideologie zu ziehen. Hat das heute eine Relevanz? Ich denke, ja, die kann es zu allen Zeiten haben. Ein klassisches Problem, bei dem es darum geht, in welchem Maße man sich einer selbst gewählten Autorität unterordnet und persönlichen Einsatz für die Arbeit an einer höheren Sache zu leisten bereit ist. Das kann spirituellen Charakter haben, aber auch, wie in diesem Fall, etwas Politisches sein. Gerade zurzeit erleben wir Muslime, die sich an verschiedenen Orten der Welt in einem gewaltsamen Kampf engagieren. Interessiert das den Leser von heute denn? Das kann ich auch nicht als gegeben annehmen, deshalb ist mein Blickwinkel auf die Geschichte der Wunsch zweier Kinder, mehr über ihren verschwundenen Vater herauszufinden. Die persönliche Sichtweise ist die Machtverteilung in der Familie, in welcher sie sich als Opfer des elterlichen Konflikts fühlen und beschließen, sich damit nicht länger abzufinden. Also ein Aufbegehren gegen eine Autorität auf engerer familiärer Ebene, das ergänzt wird von der gemeinsamen Rebellion junger Erwachsener gegen eine selbst ernannte höhere gesellschaftliche Autorität, die infrage zu stellen, sie sich entschlossen haben. Somit geht es um eine Form von Parallelität zwischen Individuellem und Kollektivem. Und das Interessante daran ist also das Machtspiel an beiden Fronten? Ja, es hat mich immer gewundert, wieso Menschen, besonders junge, in den Siebzigern gewillt waren, zugunsten einer autoritären Regierungsform, die der Kommunismus ja gewesen ist, auf die Demokratie zu verzichten. Beantwortest du diese Frage denn im Buch? Wenn ich darauf eine vollgültige Antwort liefern könnte, wären mir zweifellos viele Historiker dankbar, deshalb ist es natürlich mehr die Darlegung einiger Faktoren, die während dieses Zeitraums im Spiel waren. Das an sich, so finde ich, ist schon eine Menge wert. Welche Faktoren meinst du? Kollektiv gesehen war die junge Generation, die in den sechziger Jahren ihre Freiheit bekam, noch nicht reif genug, um die Verantwortung dafür zu übernehmen, sich eine neue Lebensgrundlage zu schaffen. Ich denke, das ist ein wesentlicher Grund dafür, weshalb viele junge Leute in den Siebzigern davon verunsichert waren, wie sie mit der Freiheit umgehen sollten, und ein Teil von ihnen reagierte darauf mit Resignation und Depression. Sie haben intuitiv herausgefunden, dass es ihnen kollektiv an der Sicherheit fehlte, die in der Auflehnung gegen das etablierte System gesteckt hatte. Weil sie aber den Kapitalismus nicht akzeptieren konnten, der sich durch den Vietnamkrieg kompromittiert hatte, wurde der Marxismus-Leninismus zu der Alternative, die mit einer neuen organisierten Erfahrung von Sicherheit lockte, und das war der Grund, weshalb diese Ideologie in jenem Jahrzehnt Erfolg hatte. Damals wusste man nichts von all den Ungeheuerlichkeiten des Kommunismus, weil er eine geschlossene Gesellschaft war. Tatsächlich wird man sich im Ganzen gesehen erst in unserer heutigen Zeit bewusst, dass in Zukunft ein anderes Gesellschaftssystem gebaut werden muss, das Nachhaltigkeit und Balance in Produktion und Konsum respektiert. Aber inzwischen ist seit den siebziger Jahren ja auch viel Zeit vergangen. Das Verstehen solcher Art großer Perspektiven braucht seine Zeit. Kann man mit dieser Argumentation nicht leicht der Altklugheit zum Opfer fallen? Da muss man natürlich aufpassen. Doch deswegen komme ich nicht umhin, mich darüber zu wundern, dass es immer noch Altkommunisten gibt, die ihre Haltung nach all dem, was wir später erfahren haben, nicht korrigieren wollen, besonders, wenn man es in dem Licht betrachtet, dass die Menschen, die innerhalb dieses Systems lebten, es sich unblutig vom Hals geschafft haben, als sich ihnen die Gelegenheit dazu bot. Der Marxismus-Leninismus war eine prima Ideologie, aber sie hat es eben erforderlich gemacht, dass der Mensch sich selbstloser und solidarischer verhielt, als er dazu in der Lage war. Sie war schlicht und einfach zu gut für die Menschen. Die Sowjetunion hat es nicht vermocht, das zu liefern, und sie erstarrte in einem von oben gelenkten Betonkommunismus. Mao hatte in China wie Stalin in der Sowjetunion ebenfalls Millionen von Menschenleben auf dem Gewissen. Wie gehst du also mit dem Widersprüchlichen der siebziger Jahre um? Ich vergleiche einige Verhältnisse, die im konkreten Zusammenhang in der realen Welt nicht nachgewiesen, aber sehr wohl vorstellbar sind. Dabei liegt meine Hinzufügung zum Verlauf der Geschichte in einer Wendung, die absolut logisch und natürlich sein könnte und die gleichzeitig der Höhepunkt der Geschichte ist, auf dem die Paradoxien ans Licht kommen. Ich war mit dieser Zusammenstellung, als ich sie als Zugabe in die Entwicklung des Plots der Geschichte einbaute, recht zufrieden. Ist das der Grund, weshalb du an gewisse Personen, Orte und Begriffe aus den Siebzigern keine wiedererkennbaren Namen vergibst? Ja, meine Dystopie spielt sich in einer Parallelwelt ab, die wiedererkennbar ist, in der man aber selbst in seinem Kopf die letzten gedankliche Parallelen ziehen muss, um das Wesentliche zu schlussfolgern. Das ist aber nicht schwer, denn es ergibt sich geradezu von selbst. Triffst du damit bezüglich des Inhalts selbst eine politische Entscheidung? Nein, nicht eindeutig. Ich lasse sich mehrere Haltungen zu Wort melden und räume unterschiedlichen Ansichten Platz ein. Speziell den Haltungen gegenüber, denen man sich selbst nicht anschließt, trägt man als besondere Verantwortung, dass man sie auf eine Art darlegt, die vertrauenswürdig ist, denn wenn es um Verständnis und Sympathie geht, steht ihnen vielleicht der Lauf der Geschichte entgegen. Ich spüre, ich muss mich bemühen, einen hohen Grad an Verantwortungsbewusstsein aufzuzeigen, da ich mich mit ideologischen und gesellschaftspolitischen Dingen beschäftige. Das wirkt ein bisschen abstrakt. Wie machst du es, dass die Geschichte heutige Leser anspricht? Indem ich auf ein paar Verdeutlichungen bezüglich dieses Zeitraums baue, die auf ganz erdverbundenem Niveau kurios, unterhaltsam oder nachdenklich stimmend wirken. Was die Wohnformen, die Musik, das soziale Leben, die kollektive Befreiung und auf vielen Gebieten die Opposition gegen die Elterngeneration angeht, haben doch besonders die siebziger Jahre etwas sehr Charakteristisches zu bieten. Es war nun mal das Jahrzehnt, in welchem die naive Rebellion der Sechziger abgelöst wurde von konkreteren Überlegungen und Handlungen bezüglich der Möglichkeiten, wie das Leben der Menschen in der Praxis verändert werden sollte oder könnte. Es war sicherlich das Jahrzehnt, in welchem am meisten mit Aufbruch und Veränderung des menschlichen Alltags experimentiert worden ist. Die Sechziger waren der Auftakt, aber in den Siebzigern sah man die Konsequenzen, auch die ernsten. Du kannst vielleicht auf eigene Erlebnisse aus deiner Jugend zurückgreifen? Nicht direkt, denn ich bin nicht auf die Barrikaden gegangen wie so viele andere, ja, ich war wohl nicht einmal in der Opposition gegen eine heimische Autorität. Meine persönlichen Prioritäten sahen nicht vor, gegen gängige Verhaltensweisen zu opponieren, was meine Familie nicht hätte tolerieren können. Auf diese Art war ich als Jugendlicher in den Siebzigern vielleicht recht atypisch. Aber ich habe verfolgt, was sich um mich herum abgespielt hat und ich habe eine lebendige Erinnerung an die Zeit, sowohl an meine eigene Wirklichkeit als auch an die, für die andere Jugendliche sich entschieden haben, um sich an ihr zu versuchen. Und das war insgesamt nicht so ernst? Nein, das kann man nicht sagen. Es haben sich auch andere Leute an Zeitbildern dieses Jahrzehnts versucht, und zum Unterhaltsamsten dieser Zeit gehört ja die Bewegung der Kommunen mit den alternativen Wohnformen und dieses eifrige Eintreten für das Natürliche, das man von der Hippiebewegung geerbt hatte, mit biodynamischem Essen und Hühnerstrick, Gruppenbeziehungen und Partnertausch nebst Experimenten mit euphorisierenden Drogen und den Demonstrationen gegen Krieg und Atomkraft. Am Rande des Spektrums erschienen dann die gefährlicheren Aspekte wie die Terroraktionen der Extremistengruppen und die Drogenabhängigkeit von harten Drogen wie Meskalin und LSD. Alles musste ausprobiert werden, und manche gingen in die Extreme und haben einen hohen Preis bezahlen müssen, indem sie ihr Leben und das ihrer Angehörigen zerstörten. Das war für die Mitwelt schwer zu verstehen? Ja, definitiv, und das ist es auch jetzt noch. Wenn die Jugendlichen ausflippten, fingen die Eltern an, sich selbst Vorwürfe zu machen und haben sich verwirrt gefragt: „Was haben wir bloß falsch gemacht, dass unser Kind sich so aufführt?“ Es war kein Problem, sich die Dinge zu Herzen zu nehmen, auch wenn die auslösende Ursache, die verkehrte Prioritätensetzung einer ganzen Generation war, aber man bot den jungen Leuten auch die Möglichkeiten, zu protestieren und sich daran zu versuchen, neue Wege zu beschreiten. Auf diese Art war es im Westen trotz allem eine offene Gesellschaft, die über die Mittel für diese Art sozialer Experimente verfügte, dem Herrn sei’s gedankt. Das hat der Kommunismus nicht gestattet. Das war doch wohl auch keine Grundgegebenheit? Nein, mancherorts in der Welt war es zu Anfang nicht möglich, und in den USA hatte man ja ernstere Themen auf der Tagesordnung, wie den Kampf für die Bürgerrechte und den Widerstand gegen den Krieg in Vietnam. Anschub erhielten die Auseinandersetzungen auch dadurch, dass sich etliche der kritikwürdigen Zustände von selbst überlebt hatten und in der Hauptsache eine kollektive Stellungnahme nötig war, damit eine Mehrheit die Berechtigung verstand, veraltete Dinge ändern zu müssen. Wieso die Bezugnahme auf „den Zauberer von Oz“? Ich brauchte etwas Unschuldiges und Naives als Gegengewicht zu dem, was nach und nach an ernsthafteren Dingen auftaucht. Außerdem gibt es in diesem Märchen einen Guru oder Weisen, der nicht ganz lupenrein ist, dem die Menschen aber große Fähigkeiten zusprechen, und weil ich selbst in meinem Buch einen selbst ernannten Meister und seine Fähigkeiten, Anhänger um sich zu scharen, infrage stelle, war das eine naheliegende Sichtweise, um in die Geschichte hineinzuführen. Du beschreibst auch Dinge, die aber mehr als Details erscheinen. Das ist klar. Bei der Darstellung eines Milieus oder von Personen verwende ich Elemente, die hauptsächlich über einen Signalwert verfügen. Das ist in dem Prozess, den Hintergrund nuanciert und plausibel zu gestalten, bevor die eigentliche Handlung Fahrt aufnimmt, notwendig. Das ist ein logischer Teil des Geschichtenerzählens, und der muss angepasst werden, damit er zu dem Umfang passt, der erforderlich und angemessen ist, ohne dass er das Hauptthema der Geschichte zu sehr überschattet. Dass Danias Familie auf die Straße gesetzt wird, scheint hart. Ich hatte eine Sendung darüber gesehen und auch im Radio etwas zu diesem Thema gehört. Ein Gerichtsvollzieher berichtete darin von seinem Job, und das hat großen Eindruck auf mich gemacht. Es war die Fallgeschichte einer Frau, die ihre Wohnung verlassen musste, weil ihr Mietrückstand zu hoch war. Es war sehr bitter, sich das anzusehen, denn sie hatte viel aus ihrem kleinen Zuhause, an dem sie auch sehr hing, gemacht. Diese Ausstrahlung werde ich nie vergessen. Vielleicht auch deshalb nicht, weil ich persönlich auch eng mit dem Ort verbunden bin, an dem ich wohne. Ordnung in den täglichen Finanzen zu haben, ist mir immer sehr wichtig gewesen. In Danias Fall trägt die Familie die Situation eigentlich mit erhabener Ruhe. Ich war ganz überrascht davon, dass ich diese Haltung glaubwürdig beschreiben konnte, denn sie lag völlig außerhalb meiner eigenen Prioritätensetzungen. Du gibst auch ein paar Hinweise auf technologische Entwicklungen. Das schien mir logisch, denn in den siebziger Jahren herrschte noch das analoge Zeitalter, wo es keine Computer gab, oder nur ganz leistungsschwache frühe Ausgaben davon. So ging jegliche Vervielfältigungsarbeit in Dunkelkammern vor sich und Texte wurden auf Schreibmaschinen geschrieben und gingen danach zur Setzmaschine. Wenn wir die Layouts druckfertig zu machen hatten, was habe ich da doch für Bögen an Fotonegativpapier mit einer Reprokamera belichtet, zusammen mit einem Blatt Positivpapier, und dann ab durch die Entwicklerabteilung der Dunkelkammer mit fließendem Entwickler. Heute hat man das fast vergessen, und so richtig gesund war das Dunkelkammerklima auch nicht, denn es gab nicht immer eine Absauganlage. Ich habe auch viele Überschriften mit Letraset aufgerubbelt. Im Laufe der siebziger Jahre tauchte der Fotosatz auf, und dann entstanden bei den Zeitungen die Konflikte mit den Typografen, die ihr Arbeitsgebiet von den „Papiermonteuren“ bedroht sahen, und das hatte auch seine Relevanz, denn ihr Berufszweig ist ja nun verschwunden. Was hat es mit dem Hinweis auf „Das kleine rote Buch für Schüler“ auf sich? Es war naheliegend, es mit ins Buch zu nehmen, denn es zeigt sehr genau, dass die Überlegungen bezüglich Veränderung in diesem Jahrzehnt sehr verbreitet waren. Im Grunde ist mit heutigen Augen betrachtet an dem Inhalt nichts besonders Provokantes zu entdecken, aber als das Buch herauskam, war es sehr umstritten. Es war auch das Jahrzehnt, als man „Danmarks Radio“ beschuldigte, linksorientiert zu sein und zu viele rote Söldner zu haben, wie Erhard Jacobsen es ausgedrückt hat. Mein getreuer Kampfgefährte Jesper Klein ist damals in „DRs“ Jugendredaktion mit seinen Sendungen „Peberkværnen“ [dt. „Die Pfeffermühle“] und Klyderne [dt. „Die Säbelschnäbler“] in die Bredouille geraten. Als Gegengewicht gibt es in deinem Buch auch einen Aufstand der Alten … Das ist ein Kapitel, das ich nach einem Comic zitiert habe, den ich in der Vergangenheit einmal gemacht hatte. Im Buch wird daraus eine Reportage, in die eine meiner Hauptfiguren verwickelt wird. Um das Thema zu untermauern, ließ ich ihn sich für die Umstände interessieren, unter denen institutionell untergebrachte Menschen leben, ein Thema, das zu dieser Zeit ebenfalls aufgegriffen wurde, als eine Neubewertung der Entwicklung des sozialen Sektors anstand. Der Abschnitt mit den pfiffigen Bauern, die die Stadtmenschen zum Narren halten, ist auch ein Recycling aus „Dekalog over Janteloven“ [dt. Dekalog über das Gesetz des Jante] … Die Mixtur des Buches braucht auch ein bisschen humoristischen Einschlag, und an dieser Stelle war das naheliegend. Außerdem lasse ich Asger an einer Stelle auf eine „Dekalog over Janteloven“-Artikelserie hinweisen, an der er gerade schreibt. Das ist natürlich mein persönlicher Insidergag. Deine Bezugnahme auf Drogen und euphorisierende Stoffe erfolgt mehr sporadisch … Dieser Strang hätte natürlich noch ausgebaut werden können, aber das wäre zu viel geworden. Drogen sollten jedoch berührt werden, denn es war ebenfalls in den Siebzigern, dass ihr Missbrauch zu einem ernsten Problem wurde, und es fiel manchem schwer, die Grenze zwischen dem Harmlosen und dem Gefährlichen zu finden. Dabei war das oben erwähnte „Rote Buch“ verunsicherten Jugendlichen tatsächlich auch eine Hilfe. Deckst du die Adresse deiner Bezugnahme nicht auf, wenn du das große Windrad erwähnst? Das mag sein, aber das ist auch nicht so schlimm. Es gibt noch weitere Details, die darauf hinweisen, wo die Welt sich befindet, auf die ich mich beziehe, aber ich wollte gerne an einer allgemeineren Sicht auf die Problematik eines allwissenden und charismatischen Führers festhalten. Tatsächlich kommt meine ursprüngliche Inspiration daher, und ich habe eine Zeit lang überlegt, ob es eine Geschichte werden sollte, die Anmerkungen zu einer religiösen, freikirchlichen Führergestalt enthielt, von denen es im Laufe der Zeit ja eine Menge gegeben hat. Die Faszination der Menschen an dieser Art erhabener spiritueller Gurus ist auch ein sonderbares Phänomen. Aber die dann von mir gewählte Perspektive hat sich am Ende logischer angefühlt, besonders, weil es hauptsächlich junge Erwachsene waren, die in diese besondere soziale Konstellation hineingezogen wurden, und über dieses Thema ist im Laufe der Zeit auch viel diskutiert worden. Es gibt Kapitel, die auf ganz konkrete Erinnerungssubstanz aufbauen. Ja, mich haben Zeitungsartikel inspiriert, in denen junge Leute über ihre Erlebnisse mit einer solchen Gemeinschaft berichten, und deren Beschreibungen fügen der Darstellung Authentizität hinzu. Das hat bei der Arbeit an dem Buch großen Eindruck auf mich gemacht. Die Berichte habe ich jedoch zu einem gewissen Grad angepasst. Ist die beschriebene Überwachung nicht ein unsympathischer Zug? In diesem Fall gilt das für beide Seiten der Überwachung. Auf jeden Fall trägt es zu einem Spannungsmoment bei, neben dem Element der Spionagetätigkeit, die zu dieser Zeit als Ausdruck der kollektiven Paranoia, die während des Kalten Krieges unter den Mächtigen grassierte, ganz angesagt war. Wie ist es, wenn man fiktional größere Gruppierungen zu bearbeiten hat? Ich hatte ein paar Bedenken, denn das würde leicht das Erlebnis von Nähe und Identifikation übersteigen können, aber ich meine, es dadurch gelöst zu haben, indem ich einzelne Figuren ihre eigenen Erfahrungen machen, und, als die Konfrontation sich zuspitzt, einen einzelnen Sprecher die entscheidenden Argumente vorbringen lasse. Gab es Punkte, über die du nachgedacht, sie dann aber nicht entwickelt hast? Ja, die Geschichte über Elmers alte Freundin und ihr Schicksal. Da war geplant, mehr draus zu machen, aber es wurde dann stattdessen zu einem abschließenden Schnörkel. Mit dem Voranschreiten der Arbeit an der Geschichte findet man heraus, wo man, um die Dramaturgie zu stärken, seine Prioritäten setzen und was man besser lassen sollte. Das ist eine wiederkehrende Fragestellung, wenn man sich seine Geschichte vorbereitet. Das kann man nicht im Voraus beschließen, dessen wird man sich erst im gleichen Maße bewusst, wie man die einzelnen Elemente in dem Puzzle an ihren Platz legt. Neu ist auch, dass eine echte und markante Vaterfigur dabei ist, die beinahe eine Art Held darstellt? Es hat mich auch gefreut, dass sie gebraucht wurde. Ich hatte bisher viele abwesende oder schwache Vaterfiguren in meinen Büchern, und mit dem Blick von oben darauf, hat mich das ein bisschen gewurmt. Das hängt sicherlich damit zusammen, dass ich gegenüber dieser Art Figuren eine gewisse Skepsis hege, deshalb tue ich mich schwer, sie mit echt empfundener Sympathie zu beschreiben. Aber hierbei gibt es nun also die größere und fragwürdigere allgemeine Vaterfigur, die über den anderen steht, also war dann auch Platz für eine sympathischere kleinere Ausgabe des patriarchalischen Rollenmodells vorhanden, und das hat sich zufriedenstellend angefühlt. Dafür gibt es die etwas fragwürdige weibliche Rollenfigur einer Mutter. Das war in gleicher Weise unumgänglich. Ich war gezwungen eine Figur zu haben, gegen die mein Teenagermädchen, Dania, auf eine verständliche und natürliche Art und Weise mit der Sympathie opponieren konnte, die der Leser zu diesem Zeitpunkt für das Schicksal der Kinder mobilisiert hat. Und insgesamt ist es vor allem auch um die Mutter schade, dass sie sich mit so wenigen und ungelegenen sozialen Bausteinen abgeben muss. In der Regel gibt es in meinen Büchern keine grundlegend negativen Figuren. Ich wünsche allen meinen Charakteren Verständnis, auch den problematischeren. Aber die Frage des Elternsorgerechts ist noch immer ein schwärendes Thema, wenn Familien aufgelöst und die Kinder zu den wirklichen Verlierern werden. Der kleine Mads soll sicher eine Art plastischer Comicfigur sein? Er wird als pfiffiger, naiver Begleiter benötigt, der sich die Dinge mit wachem Geist ansieht und sie ganz spontan kommentiert. Er ermöglichte mir einen netten Einschlag an Unbefangenheit, dessen Anwesenheit als bodenständigem Resonanzboden zum Machtphilosophischen der Geschichte angenehm ist. Über ihn war ich mit Voranschreiten der Erzählung richtig glücklich. Außerdem gab er den Anlass dafür, dass Dania ihre de facto Mutterrolle, als die Verantwortliche in der Familie, ausleben konnte. Es ist eine Art Selbsterkenntnis geworden, die sie im Laufe der Geschichte mit all den anderen vielen Dingen erfährt. In meinen Büchern gibt es oft eine vernünftige, jugendliche Identifikationsfigur, die womöglich ein bisschen cleverer ist als der Durchschnitt. Aber das akzeptieren die Leser, die ja gerne möchten, dass die Figur, zu der sie den größten Bezug herstellen, auch einige Dinge im Griff hat, von denen sie erwarten, dass sie sie im Griff hat, wenn sich denn so viele andere Punkte in der Schwebe befinden, unsicher sind oder zur Diskussion stehen. Dania ist der zuverlässige, sichere Referenzpunkt, in den wir, in der unsicheren Welt, die sie umgibt, unser Vertrauen setzen wollen. Vielleicht gehört das zu den typischsten Dingen der siebziger Jahre? Die Unsicherheit? Ich glaube, ja. Damals war der Kalte Krieg am kältesten. Es konnte doch niemand ahnen, wie alles einmal enden wird. Ob ein Atomkrieg alles beenden, eine totalitäre Regierung die kapitalistische als die einzige Weltordnung ablösen oder wie schief es auf längere Sicht gehen wird. Inzwischen blicken wir zurück, und es fällt uns etwas schwer, uns in diese Unsicherheit hineinzuversetzen, die in dieser Zeit im Großen wie im Kleinen verbreitet war und aus der wir uns trotz allem mithilfe der jüngsten technologischen Entwicklung auf dem Gebiet der Kommunikation, immer noch freikämpfen. In den Siebzigern gab es noch keine Computer oder ein Internet, keine Handys oder soziale, elektronische Netzwerke. Das globale Dorf hat sich im Laufe der letzten dreißig Jahre kolossal verändert. |