Kapitel 19
Der Junge, der Carl Barks liebte

BESUCH VON BARKS

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Treu und unverdrossen hatte ich mein Magazin »Carl Barks & Co.« bereits zwanzig Jahre lang herausgegeben, als Carl Barks endlich selbst Europa besuchte. Ich habe Beiträge aus jedem Land, das er bereiste, gesammelt, und schließlich entstand eine 56-seitige Europe Tour 1994, Nummer 22 der Reihe und dieses Mal auf Englisch veröffentlicht.
Die dänische Reportage schrieb ich selbst.

Von den Zeitungsausschnitten über Barks Besuch in Dänemark ist mir besonders einer im Gedächtnis geblieben: »Für Barks-Donaldisten rangiert ein Besuch von Carl Barks auf gleicher Stufe wie ein plötzliches Auftauchen von Hans Christian Andersen, wenngleich das Überraschungsmoment in letztgenanntem Fall größer wäre.« Beide sind Märchenerzähler von Weltrang.

Bei einem Alter von 93 Jahren würde man nicht annehmen, dass er sich auf eine Europatournee wagt, die zwei Monate andauert, insbesondere, da Barks nie jemand war, der viel gereist ist.
Danach gefragt, was er selbst für seine größte Schwäche hält, antwortete er einmal: »Zurückgezogenheit«. Als ich ihn fragte, bekam ich zur Antwort: »Erst jetzt habe ich das Geld, reisen zu können.«
Ich musste grinsen und dachte bei mir: »Dieser Mann ist definitiv der Schöpfer von Dagobert Duck.« Mit dem nicht vorhandenen Geld können nur die während einer Reise ausbleibenden Arbeitsverdienste gemeint sein, denn jedem ist klar, dieser Triumphzug, der eines Königs würdig gewesen wäre, wurde ausschließlich vom Disney-Konzern bezahlt, der sich jahrelang darum bemüht hatte, Carl Barks zu dieser Reise zu überreden. Sicherlich hatte man die Stifte gespitzt und sich ausgerechnet, was die ganze Sache für PR und Marketing bringen würde. Und was das angeht, bin ich mir sicher, die Marketingleute sind nicht enttäuscht worden.
Die Niederlassung vor Ort hatte ein gespicktes, aber gut organisiertes Programm zusammengestellt, was Barks bei einem Treffen in einem gut besuchten Comicladen aber nicht davon abhielt zu äußern: »Das hier ist, glaube ich, der angenehmste Termin, den ich bisher gehabt habe.«
Ich kenne den so beschenkten Fan, der das Treffen arrangierte, persönlich und denke, in diesem Augenblick hat er sich mindestens einen Zoll größer gefühlt.

Barks hat es immer gut gekonnt, große und einfache Gefühle in wenigen Worten auszudrücken, und das wurde auch bei einem anderen Termin in »Det kulørte Bibliotek« [die Comicabteilung der Kopenhagener Hauptbibliothek, Anm. d. Ü.] deutlich, wo er auf ausgewählte Gäste treffen und eine Signierstunde abhalten sollte.
Er kam durch den Hintereingang herein und stand plötzlich im Raum, und alle traten zur Seite, um ihm Platz zu machen. Für einen Augenblick entstand eine beinahe andächtige Stimmung, in der man Onkel Dagoberts ersten Kreuzer hätte fallen hören können, wäre da nicht das Summen der Videokameras gewesen, die sogleich in Anschlag gebracht wurden. Das Schweigen dauerte nur einen Moment, doch möglicherweise lange genug, dass es jemand als ein wenig peinlich erlebt haben könnte.
Dann ging Barks durch die Runde und gab jedem die Hand. Ich fasste die gemeinsame Freude, die wir alle darüber empfanden, dass er endlich den Weg übers Wasser zu uns gefunden hatte, zusammen, was gar nicht überraschend zu der Antwort von Barks führte, dass auch er sich freute, zu uns gekommen zu sein.
Er schaute sich um und sagte: »Ich glaube, ich habe hier in diesem Raum möglicherweise mehr Freunde als zu Hause.«
Auf diese schlichte Weise brachte er uns dazu, auf eine ein wenig sentimentale Art das Gefühl zu haben, etwas Besonderes zu sein. Die Bemerkung schien wirklich spontan, und es ist wahr, dass für die Vermarktung des Besuches in Europa mehr Anstrengungen unternommen wurden als in den USA.
Ein Kommentar, den Barks zu einem der Geschenke, die er bekommen hat, abgab, war: »Ich kann es kaum abwarten, nach Hause zu kommen und das hier meiner Putzfrau zu zeigen.«
Es kursiert auch die Geschichte über eine von einer Wohltätigkeitseinrichtung gesandten Dame, die begutachten sollte, ob er ein lohnendes Opfer für eine Spendensammlung abgäbe. Sie schaute sich in seinem Arbeitszimmer um und meinte: »Herr Barks, es hat den Anschein, als wären Sie ganz begeistert von Enten.«

Vor Carl Barks Ankunft in Dänemark rief mich ein Journalist an, der beabsichtigte, mit ihm für das landesweit ausgestrahlte Fernsehen ein Interview zu führen. Wo hatte er gleich noch mal das Ei gesehen, aus dem Donald geschlüpft war? Schnell kramte ich mein donaldistisches Allgemeinwissen durch, musste jedoch aufgeben. Bei Barks war es bestimmt nicht gewesen.
In der Sendung sagte Barks: »Ich glaube, er stammt aus einem Ei, das bei einem Kaufmann gekauft wurde.« Nun sind Journalisten ja pfiffige Köpfe, also kam prompt die nächste Frage: »Haben Donald und Daisy ein Sexleben?« Darauf antwortete er: »Oh, ich möchte meinen, man hat bei Disney getan, was möglich war, um die beiden auf Abstand zu halten.« Der Ton war erkennbar humorig und ironisch.
Als er mich anrief, hatte der oben genannte Journalist ebenfalls wissen wollen, wer, wenn es sich bei Barks wirklich um den Vater des Comic-Donald-Duck handelt, denn die Mutter war? Darauf hatte ich die richtige Antwort. Ohne Zweifel war es Sonja Rindom. Und wer war das? Nun, das war die Frau, die viele Jahre lang Disney-Comics ins Dänische übersetzt hat. Manche Bereicherung der dänischen Sprache hat sie Barks zu verdanken. Langtbortistan zum Beispiel heißt im Original Farawayistan.
Glücklicherweise hatte man im dänischen Büro daran gedacht, sie zu einer Rezeption in den Verlag einzuladen, und Sonja Rindom erschien auch, ganz in Weiß. Normalerweise sprechen wir nicht über das Alter einer Dame, aber sie ist drei Jahre jünger als Barks, und ebenso wie er, hielt sie sich ziemlich gut.
Bevor man sie einander vorstellte, wurde Barks darüber informiert, wer sie war, und als sie sich begegneten, schaute er sie von oben bis unten an, um dann auszurufen: »You're looking GOOD!«
Nun hat Barks einen guten Braten immer zu schätzen gewusst, und auch da mochten die Journalisten ein wenig nachbohren. Im Jahr zuvor hatte er seine dritte Frau zu Grabe getragen, und die Presse wollte wissen, ob er denn noch hinter Mädels her wäre. Er antwortete: »Ich drehe mich immer noch nach ihnen um, aber ich laufe ihnen nicht mehr nach.«

Das Interesse an Barks war auf vielerlei Art spürbar, aber wenig überraschend vorwiegend bei der Generation mittleren Alters, die mit Comics aufwuchs, die in ihrer Kindheit die Hauptquelle ihrer Unterhaltung gewesen waren. Um also sicherzugehen, dass Barks auch von ein paar ganz gewöhnlichen Kindern empfangen wurde, als er mit der Oslofähre eintraf, war man bei Egmont so vorausschauend gewesen, einige Busse mit Kindern an den Kai zu fahren, damit sie mit Fähnchen winkten und dem König von Entenhausen huldigten. Im Bus hatte man sie bestimmt darüber gebrieft, um wen es sich bei dem betagten amerikanischen Burschen denn genau handelte.
Es ist so sicher wie gewiss, dass wir alle einen historischen Flügelschlag spürten und einen Windhauch von seinen Flügelfedern wahrnahmen, als er auf seinem Triumphzug in unserem Land vorbeischaute.
Keine Frage, Carl Barks ist einer der wenigen wirklich großen Schöpfer des Goldenen Zeitalters der erzählenden Comics, der noch lebt. Mit Barks Zeit zu verbringen, ließ selbst die hochkulturbeflissensten Bürokraten wieder zu Kindern werden.
Nachdem sie ihn ausgiebig interviewt hatten, freuten sie sich diebisch über ein Autogramm in einer ihrer alten Kostbarkeiten aus der Zeit ihrer Kindheit in den Fünfzigern.

Der Zeitungsredakteur einer führenden Tageszeitung mit Spezialgebiet Literatur wollte Barks dazubringen, ihm eine kleine Ente zu zeichnen und versprach, sie würde auf der Titelseite seiner Zeitung erscheinen, aber Barks Manager schlug höflich aus, obschon Barks selbst zu überreden gewesen wäre.
Wenn sich Barks Gemälde für 200.000 Dollar verkaufen lassen und seine Skizzen ein weiteres erkleckliches Sümmchen einbringen, wäre es den Investoren gegenüber illoyal, Entenzeichnungen gratis wegzuschenken! Solcher Art sind die Gerüchte, die wissen wollen, dass Barks letztendlich die Stellung eines Donald Duck verlassen hatte und in den Status eines Dagobert Duck gewechselt war. Ich habe diesen Gedanken zu der philosophischen Frage an Barks entwickelt, welchem guten Zweck ein Barks-Fonds, wollte man ihn einrichten, dienen könnte?
Es war eine Frage, auf die nur schwer eine Antwort zu bekommen ist, also wurde sie mit einem scherzhaften Hinweis auf die bekannte Sache mit dem Heim für heimatlose Brieftauben abgetan.
Auch wenn es den Anschein hat, als wäre Barks am Ende ein wohlhabender Mann geworden, sind es doch immer noch andere, die den großen Reibach mit seiner Kreativität machen.

Offengestanden hätte Barks es vorgezogen gehabt, wenn die Produktion von Entencomics eingestellt worden wäre, nachdem er sich zurückgezogen hatte, und das Aufkommen neuer Comics, die ihre Aufmerksamkeit in der Hauptsache auf das Ansehen zurückführen, das er aufgebaut hat, ist sicher nicht sein Glas Limonade!
Er möchte auch nicht in eine PR-Aktion geraten, die in der Weise verstanden werden könnte, als gäbe der alte Meister die Fackel an irgendeinen ernannten Nachfolger weiter.

Er ist sich jedoch auch im Klaren darüber, dass dieses ganze Brimborium um das Wem-gehört-was eine Frage des Gebens und Nehmens ist. Seine Gemälde mit Nicht-Disney-Figuren erfahren nicht die gleiche Wertschätzung wie die mit den Enten.
Sollte ein Barks-Fonds geschaffen werden, sollten sich von Rechts wegen dazu die Geldleute zusammentun, die über die Jahre viel Geld mit seiner Kunst verdient haben.
In diesem Zusammenhang fragte ich nach, ob es nicht schwer gewesen ist, anlässlich seines Besuches die Ausstellung von 30 seiner Gemälde im Foyer des Nationalmuseums zusammenzutragen?
Ja, so leicht war das nicht, doch nicht, wie ich angenommen hatte, weil die Bilder überall verstreut wären. Die betreffenden Gemälde gehörten nur zwei vermögenden Leuten! Ich benutzte die Gelegenheit und schleppte meine drei eigenen Kinder mit hinein, um die Herrlichkeiten zu bewundern, und die drei waren recht zufrieden, dass dieser Galeriebesuch nicht zu der langweiligen Sorte gehörte.
Die Gemälde wiesen tatsächlich den besonderen Schimmer auf, von dem ich gehört hatte und den die Reproduktionen nicht wiedergeben. Mittlerweile haben sich auch andere Künstler an Disney-Motiven ohne schwarze Begrenzungslinien versucht, wodurch man eine dreidimensionale Wirkung zu erzielen sucht, ohne jedoch das gleiche Glühen und die gleiche Knackigkeit und Lebendigkeit einfangen zu können, wie Barks es vermocht hatte.

Ich berichtete Barks davon, dass, wäre er in den Siebzigern oder Achtzigern in der Branche tätig gewesen, man ihn vielleicht dazu gezwungen hätte, seine Skizzen von irgendeinem Diego aus Spanien im Namen der Einheitlichkeit ins Reine zeichnen zu lassen. Barks schauderte es bei dem Gedanken und er war dankbar, dass es ihm erlaubt gewesen ist, den Schaffensprozess den ganzen Weg von der Idee bis zu den fertigen, ins Reine gezeichneten Originalen selbst gehen zu können. Ich konnte ihm versichern, unzählige Fans waren es ebenfalls.
Dänemark war das Land, das mit den meisten Tagen der Tournee beschenkt wurde, und Egmont hatte andere Disney-Zeichner dazu eingeladen, sich mit Carl Barks zu treffen, wie Marco Rota aus Italien, Vicar aus Chile und Tello aus Spanien. Sie hatten Glückwunschzeichnungen für ihn angefertigt, um den Anlass zu feiern.
Barks schaute sich eine Zeichnung von Vicar an, auf der ein göttlicher Barks einer sich träge auf der Wolke nebenan rekelnden Ente das Leben schenkt, nicht unähnlich dem bekannten Fresko von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle in Rom.
Barks gluckste über die Idee und Vicar, lediglich ein junger Dachs von etwa Sechzig, strahlte über diese Wertschätzung und schoss mehrmals sein »Maestro Barks« quer über die anglo-spanische Sprachbarriere. Barks kommentierte mit den Worten: »Du bist also der Bursche, der die Enten besser zeichnet als ich?«
Die Fans, denen es nicht gelang, ein Autogramm von Barks zu erstehen, mussten sich bei einem späteren Treffen in Det kulørte Bibliotek mit einem von den anderen Zeichnern zufriedengeben. Vielleicht war sogar eine kleine Entenzeichnung zu haben? Doch nein, Egmonts Manager war zur Stelle und kontrollierte, dass das nicht passierte. Ein Autogramm konnte man bekommen, mehr nicht. Sah Egmont möglicherweise einen zukünftigen Preisboom für Zeichnungen dieser zweiten Generation von Entenmännern?

Das für mich größte Erlebnis war, dass man Barks gefragt hatte, ob es in Dänemark jemanden gäbe, den er gerne begrüßen wolle, und da erinnerte er sich an mich. Deshalb war Egmont gezwungen, mich einzuladen, und Wirklichkeit wurde es an Barks letztem Tag in Dänemark bei einem Frühstückstreffen im Hotel Phoenix. Ich durfte eine Begleitung mitbringen und entschied mich für Gorm Transgaard, der selbst angefangen hatte, Geschichten für Egmont zu liefern.
Da saßen wir dann, drei Generationen von Entenmännern und unterhielten uns gemütlich über eine Stunde lang, ganz entspannt und angenehm, weil wir kein Aufnahmegerät benötigten. Worüber wir sprachen, daran kann ich mich tatsächlich nicht erinnern, denn alles war absolut spontan. Aber uns fiel auf, dass Barks sich eine Scheibe Schinken auf sein Plundergebäck legte.
Gorm und ich hatten uns darauf verständigt, uns nicht wie schlichte Fans aufführen zu wollen, also packten wir unsere Kameras weg. Am Ende wurden dann wir gefragt, ob Barks für sein Fotoalbum ein paar Bilder von uns machen dürfe, und wie er das durfte!
Danach hatten wir keine Probleme mehr damit, unsere eigenen Kameras rauszuholen und ein paar Schnappschüsse mit dem Guten Zeichner zu machen. Sicher sind auch die Bilder, die er mit uns zusammen gemacht hat, gut geworden, und er hat sie zu Hause seiner Putzfrau zeigen können …

Nun schmückt das Bild von Barks und mir den Titel meiner Facebook-Seite. Offensichtlich habe ich es gewagt, meine Hand auf seine Schulter zu legen und lächele dabei. Barks tut das gleiche. Wahrscheinlich habe ich noch eine gescheite Bemerkung gemacht, aber ich erinnere mich nicht daran, was es war …

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