Chapter 6
Questland - Der Prinz und der Verlierertyp
ZZZ
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Thurok und Salvor waren in ein Labyrinth gelangt, in dem sie sich natürlich verlaufen hatten.
„Es gibt keinen Weg zurück. Wir besitzen nicht genug Leben, um eine Tour zurück zu schaffen.“
„Wir haben auch keine Zeit, um alle Gänge des Labyrinths zu erforschen.“
„Nicht wenn es ...“
„Pass auf!“
Um ein Haar wäre es passiert. Ein Stein war zur Seite geglitten und ein Bolzen aus einer Armbrust war dicht an Salvors Ohr vorbeigesaust.
„Wer war das?“
„Niemand. Du hast eine Falle ausgelöst, als du den Stein dort berührt hast.“
„Wie konntest du das wissen, Thurok? Es gab doch keine Warnung?“
„Vielleicht meine Intuition.“
„Mag sein.“ Thurok sah sich um.
„Ich habe das merkwürdige Gefühl, schon einmal hier gewesen zu sein.“
„Das habe ich nicht. Bist du in der Vergangenheit schon einmal auf einer Mission hier gewesen?“
„Vielleicht. Irgendwas an diesem Ort kommt mir bekannt vor.“
„Du hättest mich mitnehmen sollen. Ohne Support ist das zu gefährlich hier.“
„Es war nicht genau hier. Ich meine in diesem Zusammenhang.“
„Was meinst du dann?“
„Es war ein anderer Ort. Ich kann mich nur gerade nicht daran erinnern, wo. Das war auch, bevor ich dich getroffen habe.“
„Na, dann muss ich deswegen ja nicht eifersüchtig sein.“
„Da sind kleine Unterschiede, aber sonst ähnelt der Ort etwas, dass ich früher schon gesehen habe.“
„In einem Traum?“
„Nicht wirklich.“
„Wissende nennen das ein Vorzeichen. In der Regel für etwas Gefährliches, das bald geschehen wird.“
„Genau. So war es.“ Salvor war nicht beeindruckt.
„Es erfordert keine besondere Wahrsagekunst vorherzusehen, dass es für uns grauenhaft schiefgehen kann, und das jederzeit.“
„Bleib dicht hinter mit ... Vorsicht! Nicht diesen Block dort berühren!“
„Den da?“
„Ja! Rühr ihn nicht an!“
„Das habe ich auch nicht. Was ist denn los mit ihm?“
„Wenn du ihn berührt hättest, wäre die Katastrophe losgebrochen.“
„Wie kannst du das wissen?“
„Das ist ... in der anderen Situation passiert. Ich bin nur mit Müh und Not davongekommen.“
„Hm ... Schön zu wissen ... für ein anderes Mal.“
„Duck dich!“
„Hier oder hier?“
„Ja, bevor du weiter vorwärtsgehst.“
„So?“
„Ja, und jetzt müssen wir langsam vorwärtskriechen.“
„Ferner folgen Fallen, vielleicht?“
Thurok brauchte nicht zu antworten, denn im gleichen Augenblick sauste ein Speer quer über den Gang, der ihn getroffen hätte, wenn er aufrecht gegangen wäre. Salvor fand, dass er etwas sagen sollte.
„Danke.“
„So. Nun kannst du auch wieder aufrecht gehen.“
„Puh! Bin ich froh dich hier als Tourguide zu haben. Ich bin gar nicht neidisch darauf, dass ich damals nicht dabei war, als du all diese nützlichen Dinge gelernt hast.“
„Hier teilt sich der Gang in drei auf.“
„Das kann ich sehen. So weit bin ich dabei. Aber sollen wir nach rechts, links oder geradeaus?“
„Wir müssen geradeaus.“
„Geradeaus? Meinst du? Ist das nicht zu einfach?“
„Genau deshalb.“
„Weil die Leute gerade das denken und das Einleuchtende vermeiden würden?“
„Ja, rechts gibt es eine Fallgrube, die in einem Brunnen endet.“
„Und links?“
„Das haben wir nicht versucht.“
„Wir? Warst du nicht allein auf dieser Tour?“
„Mein Begleiter hat dort eine Menge Leben verloren. Es wäre auch allzu leichtsinnig gewesen, allein zu gehen.“
„Logisch. Weshalb hast du das nicht direkt gesagt? Dass du mit jemandem zusammen gewesen bist?“
„Um dich nicht neidisch zu machen.“
„Wie kann ich neidisch werden, wenn das war, bevor du mich getroffen hast?“
„Das weiß ich nicht. Also würdest du es nicht geworden sein?“
„Hm. Darüber muss ich gerade mal nachdenken.“
„Das meinte ich. Wenn die Leute gerade mal über etwas nachdenken müssen, dann, weil sie sich unsicher darüber sind, was sie fühlen.“
„Okay, also dann. Es war rücksichtsvoll von dir, mir am Start nichts zu sagen, aber auch nett, dass du es hinterher zugegeben hast.“
„Zugegeben hast ...?“
„Ja, also ... eingestanden hast, dass du vor mir einen guten Gefährten gehabt hast.“
„Da ist wohl nichts Merkwürdiges dabei. Wie gesagt, wusste ich ja nicht, dass ich auch mit anderen schöne Missionen erleben würde als nur mit ihm ... dem anderen Typen.“
„Was ist mit ihm passiert ... auf der Mission ... damals?“
„Er verlor eine Menge Leben. Ich musste ihn tragen, als wir durch diesen Gang gingen, in dem wir jetzt sind.“
„Wie hieß er?“
„Kann das nicht egal sein?“
„Doch, selbstverständlich. Aber er hat sich vielleicht jemand anderen gesucht, um mit ihm gemeinsam auf Feldzug zu gehen?“
„Ja, er hat praktisch mehrere gefunden.“
„Na, so was. So ein Bursche. Was ist dann mit ihm passiert ... später?“
„Er verschwand?“
„Ist er? Na, ist er wirklich? Er war plötzlich einfach nicht mehr da? Oder wie?“
„Genau. Du weißt doch, wie das ist. Heute hier, Morgen weg.“
„Ach so. Was sagt man dazu? Wie hieß er?“
„Aciel.“
„Ach so, der. Den kenne ich doch gut.“
„Das wollte ich meinen. Er hatte einen guten Ruf.“
„Ja, wir haben wirklich viele Humpen Festtagsbier in Gorwyns Krug getrunken. Also du kanntest ihn, bevor ich dich kennengelernt habe?“
„Ja, das habe tatsächlich.“
„Merkwürdig, dass er nie etwas davon gesagt hat.“
„Sicher habe ich auch hauptsächlich deswegen nichts gesagt.“
„Jetzt kann ich das gut verstehen. Ein bisschen Rücksichtnahme auf Aciel.“
„Ja, irgendwie. Und auf dich.“ Schweigend liefen sie eine Weile weiter.
„Möchte wissen, was Aciel heute macht.“
„Eine gute Frage.“
Nachdem sie durch den mittleren Gang gegangen waren, in dem Salvor Bedenken kamen, weil so lange nichts passierte, kamen sie zu einer Rotunde, von der aus es auch ein Tor ins Freie hinaus gab. Auf einem Sockel in der Mitte des Rundbaus stand eine hohe Kiste. Salvor war entzückt.
„Sicher ist das ‚der Zwerge Zaubermächtiges Zeugnis’, was da in der Kiste liegt.“
„Das glaube ich auch.“
„Glaubst du? Also weißt du es nicht?“
„Ich habe doch Aciel geschleppt.“
„Oh ja. Und dann?“
„Aciel hatte nicht mehr viel Leben in sich. Ich musste ihn schnellstmöglich zurück zu einer Heilbehandlung bringen. Das haben wir auch ganz genau geschafft.“
„Na, aber alles kommt zu dem, der warten kann.“
Salvor ging zu der Kiste und steckte die Spitze seines Schwertes unter den Deckel. Thurok war entsetzt.
„Was tust du?“
„Ich breche die Kiste auf.“
„Stopp!“
„Was jetzt?“
„Du musst den Schlüssel benutzen.“
„Welchen Schlüssel?“
„Den Schlüssel, den die Göttin Amphora in ihrem Schoß hält.“
„Oh nein!“
„Was ist jetzt los?“
„Dann müssen wir jetzt wohl von Pontus zu Piräus rasen, um ihn zu finden?“
„Nein, er liegt gleich dort drüben.“
„Wo?“
„Da!“
„Was, da?“
„Lass mich ...“
Thurok ging und kniete sich auf die unterste der drei Stufen vor der kleinen Alabasterstatue und sagte einen kurzen Merkspruch auf.
„Balyvar nogikarum samphysilor ramsak.“
Auf den nächsten Stufen wiederholte sich die Zeremonie. Daraufhin faltete er die Hände, senkte den Kopf und stand lange und summte eine eintönige Strophe. Salvor wappnete sich mit Geduld.
Schließlich reichte Thurok nach oben und nahm den Schlüssel aus dem Schoß der kleinen Figur, die auf einer niedrigen Säule stand. Danach kam er an den Sockel in der Mitte der Rotunde zurück.
„Ich wage gar nicht daran zu denken, was geschehen wäre, wenn du nicht diese merkwürdigen Beschwörungen vorgenommen hättest.“
„Das wage ich auch nicht.“
„Was, nicht? Was würde denn dann geschehen sein?“
„Das weiß ich nicht.“
„Du weißt es nicht?“
„Nein, denn ich habe es ja nicht ausprobiert.“
„Das verstehe ich nicht. Wo hast du dann dieses Ritual gelernt, dass du gerade benutzt hast, wenn es zu beherrschen sich denn als Vorteil erweisen konnte?“
„Das weiß ich auch nicht. Aber es ist bestimmt etwas, an das ich mich aus dieser ... anderen Dimension erinnere, oder was es nun gewesen ist.“
Thurok steckte den Schlüssel ein und drehte ihn in dem Schloss herum. Es gab ein leises Brummen, als er den Deckel öffnete. Sie lehnten sich beide über den Rand und schauten in den tiefen Raum, in dem in der am weitesten rechten Ecke eine kleine Steinbüste zu stehen schien, hinter der ein zusammengerolltes Dokument lag. Thurok drehte sich zu Salvor.
„Leih mir dein Schwert.“
„Wieso das?“
„Es ist etwas länger als meins.“
Salvor gab Thurok das Schwert. Er war etwas mürrisch.
„Vorhin durfte ich es nicht benutzen, aber jetzt ist es offenbar völlig in Ordnung, wenn du es hast.“
Thurok steckte das Schwert in die Kiste und berührte die kleine Frauenbüste, ohne sich dabei ganz über den Rand der Kiste zu beugen. Plötzlich schossen eine Reihe nadelspitzer Klingen rund um den Rand der Kiste nach oben. Salvor war sprachlos und betrachtete die tödliche Szenerie.
„Jetzt verstehe ich, weshalb du das Schwert gebraucht hast.“
„Ja, um damit die Falle auszulösen.“
„Und wenn sich jemand über den Rand der Kiste gebeugt hätte, um mit der Hand das Dokument erreichen zu können, würde derjenige die Büste berührt haben. Und dann wäre er von manchen der Messer in den Magen erdolcht worden, als sie aus dem Rand der Kiste sprangen.“
„Die Büchse der Pandora.“
„Was meinst du?“
„Eine alte Legende. Wenn die Büchse oder der Schrein der Pandora geöffnet wird, entkommt eine Menge Flüche und bricht über die ganze Welt herein.“
„Eine ausgeklügelte Einrichtung. Ich gehe davon aus, dass die Büste Pandora vorstellen soll?“
„Ganz genau.“
Ein knirschender Mechanismus begann zu arbeiten und die spitzen Klingen wurden wieder zurück in den dicken Rand der Kiste gezogen.
„Deshalb also wurde dieser sogenannte Schicksalsschrein als tiefe Kiste gebaut?“
„Ja, und nun können wir das Dokument heraufholen.“
„Die Ehre darfst du gern haben.“
Thurok beugte sich hinein und befreite die Papierrolle hinter der kleinen Figur. Salvor wurde abermals misstrauisch.
„Da ist ein Siegel, das die Schriftrolle verschließt. Muss das jetzt auch auf eine mystische Art und Weise entfernt werden?“
„Das glaube ich nicht.“
„Da ist eine Art Zeichen im Siegel.“
„Es sieht aus wie drei Zickzacklinien.“
„Vielleicht Blitze. Entspringen sie nicht so etwas wie einer Wolke?“
„Wieder was Bedrohliches.“
„Und deine Erlebnisse auf der anderen Mission haben dir nichts darüber gesagt, was du jetzt anwenden musst?“
„Nein, nicht so weit ich mich erinnere.“
Mit Vorsicht löste Thurok das rote Lacksiegel und rollte das Pergament aus. Sie schauten beide auf die Botschaft. Dort stand nur ein einziges Wort.
„Demo.“
„Demo?“
„Das sagt mir nichts.“
„Etwas zum Nachdenken.“
„Ein kleiner Wermutstropfen.“
„Vielleicht irgendetwas, auf das wir ein wachsames Auge haben sollen?“
„Um uns davor in Acht zu nehmen?“
„Oder es aufzusuchen?“
„Salvor war ein wenig ärgerlich.“
„Bist du dir sicher, dass das hier ‚der Zwerge Zaubermächtiges Zeugnis’ ist?“
„Das sollte es sein.“
„Und du weißt nicht, welche Rolle das Dokument in der anderen Situation gespielt hat, von der du erzählt hast?“
„Vielleicht ist die Schriftrolle nicht dieselbe, sondern nur die Umgebung und der Weg an das Ziel?“
„Das klingt sonderbar.“
„Ja, das tut es tatsächlich.“
„Aber ich bin froh, dass du mich nicht zum Lazarett oder zum Heiler zurückschleppen musst, weil ich in den Magen gestochen wurde und unglaubliche Schmerzen und nur noch wenig Leben in mir habe.“
„Ja, einmal muss genug sein.“
Sie standen in der Rotunde und dachten ein wenig nach.
„Wo hast du Aciel hingebracht, als du ihn gerettet hattest?“
„Zum Zauberer Magnus dem Mächtigen.“
„Und er konnte Aciel retten?“
„Ja.“
„Aber andererseits hätte es wohl auch andere gegeben, die das hätten tun können. In Sarlydor gibt es ja ein Heer von Geisterbeschwörern und Heilern, die es zur Hauptbeschäftigung haben, das Leben verletzter Krieger zu retten, die auf all den gefährlichen Missionen nur knapp dem Tode entkommen.“
„Dieser Magnus muss besonders kundig sein, was die Angelegenheiten angeht, mit denen man es gerade in dieser Region zu tun bekommen kann. Oder auch dem entsprechenden Ort, von dem ich annehme, meine Erinnerungen aus dem Labyrinth und an die anderen Phänomene zu haben, die wir auf dieser Mission erlebten.“
„Vielleicht eine Art Parallelwelt?“
„Ja, wenn so etwas existiert.“
„Wer weiß? Vielleicht sind unsere Sinne zu beschränkt, um all die größeren Zusammenhänge, die es im Leben gibt, zu verstehen?“
„Der Gedanke ist auch anderen schon gekommen.“
„Vielleicht sollten wir auf dem Weg zurückgehen, den du schon in der Vergangenheit benutzt hast, und sehen, ob der Heiler mit Namen Magnus noch anzutreffen ist?“
„Das können wir ebenso gut tun. Und er kann uns vielleicht auch dabei helfen, die mystische Nachricht des Dokuments zu entschlüsseln.“
Die beiden Krieger machten sich gemeinsam auf den Heimweg, der völlig ohne Gefahren und Beschwernisse war. Mehrmals hielt Thurok inne, weil er über den Weg in Zweifel kam. Salvor wurde ungeduldig. An einer Stelle war Thurok offensichtlich sehr ratlos.
„Was ist jetzt?“
„Ich weiß nicht. Ich bin irgendwie der Meinung, dass der Pfad hier abbiegen sollte?“
„Danach sieht es eigentlich nicht aus.“
„Nein, und das ist sonderbar. Er sollte aber.“
„Vielleicht ist der Nebenpfad überwuchert?“
„Ja, das ist ja möglich.“
„Wir machen ein paar der Büsche weg.“
Mit gemeinsamer Unterstützung rodeten die beiden Freunde die Büsche und das Gestrüpp auf beiden Seiten des Pfades, aber das enthüllte keinen Pfad, der sich früher dort befunden haben konnte.
„Nun, vielleicht erinnere ich mich nicht richtig. Es ist möglich, dass der Nebenpfad zum Zauberer, Magnus dem Mächtigen, erst zu einem späteren Zeitpunkt kommt.“
Die beiden Gefährten sahen sich auf dem ganzen Rückweg gründlich um, doch zu keiner Zeit fanden sie den Weg zu dem mysteriösen Zauberer, Magnus. Er schien verzogen zu sein oder bloß verschwunden, wie so vieles andere in dem inzwischen unzuverlässigen Sarlydor.
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